
Bundesliga-Kommentar : Pro Schwaben und gegen den Ball
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Drei stehen für viele: Schürrle, Szalai und Holtby feiern in Bremen die Mainzer Tabellenführung Bild: dapd
Das Fußball-Hoch im Südwesten hat einen sachlichen Grund: Mainz, Hoffenheim, Kaiserslautern und Freiburg spielen nach dem Prinzip, den Gegner mit dem Ziel der frühen Balleroberung unter Druck zu setzen. Kein Wunder, dass es gerade zu Anfang dieser Saison so gut funktioniert.
Alles nur Zufall? In der obersten Tabellenregion kommt es nach dem vierten Spieltag zu einer verblüffenden regionalen Verdichtung. Vier Klubs sind im Südwesten zu Hause – und sie werden allesamt von Schwaben trainiert. Thomas Tuchel vom Tabellenführer Mainz stammt aus Krumbach, der Hoffenheimer Ralf Rangnick aus Backnang und der Kaiserslauterer Marco Kurz aus Stuttgart. Der Freiburger Robin Dutt wurde zwar in Köln geboren, aber wie die Kollegen in der Nähe Stuttgarts fußballerisch sozialisiert. Schon in der Jugend spielte er für Hirschlanden im Landkreis Ludwigsburg.
Was sagt uns das? Lassen wir uns erst gar nicht auf wissenschaftlich nicht haltbare Rückgriffe auf alte Vorurteile ein. Von wegen alle Schwaben seien fleißig und akribisch und Spätzle und Maultaschen das perfekte Doping für das Fußballhirn. Sachdienlicher, um das flächendeckende Hoch im Südwesten zu erklären, ist die übereinstimmende Fußball-„Philosophie“ der Trainer, nicht deren Herkunft. Alle vier lassen ihre Mannschaften „gegen den Ball“ spielen, der moderne Ausdruck für „Pressing“ oder „Forechecking“. Dass vor zehn Jahren nur englische Fachausdrücke für diese Spielform existierten, zeigt schon, wie weit der deutsche Fußball damals hinter der Zeit war.
Das Prinzip, den Gegner mit dem Ziel der frühen Balleroberung unter Druck zu setzen, erfordert zweierlei: eine hart zu erarbeitende Laufstärke und ein überdurchschnittliches taktisches Verständnis der Spieler. Denn wer im falschen Moment attackiert, ohne die nötige Unterstützung von den Nebenleuten, der wird schnell ausgespielt. Wer sich aber auf das gewagte Spiel einlässt und es zu beherrschen lernt, kann im Kollektiv die individuelle Überlegenheit eines Gegners kompensieren.
Kurz gesagt, es ist ein System für ehrgeizige, leistungswillige, am besten junge Außenseiter. Zwar bringt das Spiel „gegen den Ball“ auch den Bayern, Werder oder Wolfsburg Vorteile. Aber je größer die Dichte an etablierten Stars mit hohem Spielvermögen und ausgeprägtem Ego, je facettenreicher ihre Kombinationsmöglichkeiten sind, desto weiter rückt die unbequem aufwendige taktische Alternative in den Hintergrund.
Bayern bleiben nicht grundlos gelassen
Dass die Außenseiter gerade jetzt so erfolgreich sind, hat auch mit der aktuellen Schwäche der Großen zu tun. Nach den Belastungen der Weltmeisterschaft und der drei Länderspiele, die der kurzen Pause schon folgten, sind die mit Nationalspielern durchsetzten Teams noch nicht richtig ins Rollen gekommen. Die individuelle Klasse wird sich im Saisonverlauf schon durchsetzen. Deshalb gehen die Bayern auch verhältnismäßig gelassen mit den sieben Punkten Rückstand zu Tabellenführer Mainz um. Stünden Schalke, Leverkusen oder Werder ganz oben, wäre das Lamento sicher größer.
Allerdings sollten sie die Hoffenheimer nicht aus den Augen verlieren. Rangnicks Mannschaft hat schon als Aufsteiger ihre großen Möglichkeiten angedeutet und verfügt über genügend Spieler, die auch im Alleingang eine Begegnung entscheiden können. In der vergangenen Saison waren sich die erfolgsverwöhnten Emporkömmlinge nur irgendwann zu schade, den harten Weg „gegen den Ball“ zu gehen. Bleiben sie in der Spur, werden sie weit oben in der Tabelle landen, anders als Mainz, Freiburg und Kaiserslautern.
