
Kommentar : Schwere Kost für Pechstein
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Gibt nicht auf: Claudia Pechstein will ihren Fall vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Bild: dpa
Der Bundesgerichtshof bremst Claudia Pechstein. Der Eisschnelllaufverband Isu sollte sich den Jubel aber verkneifen. Und die Sportler sollten mehr Verhandlungsgeschick lernen.
War das der Schlusspfiff? Nicht für Claudia Pechstein. Sie will in die Verlängerung, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Pechstein gibt nicht auf. Das ist ihr gutes Recht. Ihre Aussage, sie genieße anders als Flüchtlinge hierzulande keinen Rechtsschutz, ist hanebüchener, unter dem Eindruck des Ärgers über die Niederlage geäußerter Unsinn, der schon im Ansatz nicht den Unterschied zwischen staatlichem und privatrechtlichem Handeln erkennt. Aber Claudia Pechsteins Ärger ist nachvollziehbar, zumal ein Urteil vom Bundesgerichtshof in dieser Deutlichkeit wohl die wenigsten erwartet hatten.
Die höchsten deutschen Zivilrichter sind der Ansicht, der Cas, der Internationale Sportgerichtshof, sei ein echtes Schiedsgericht, im „Gesamtbild unabhängig und neutral“. Und: Die Funktionäre der Internationalen Eislauf-Union (Isu), Pechsteins Prozessgegner, die sie einst auf Grund auffälliger Blutwerte wegen Dopings gesperrt hatten, obwohl es keinen Beweis gab und die Athletin eine vererbte Anomalie als Ursache vorweisen konnte, vertreten „nicht grundsätzlich gegensätzliche Interessen“. Das ist schwere Kost, nicht nur für Claudia Pechstein. Denn der Richterspruch signalisiert: Sportler, traut euren Funktionären. Vertraut euch euren Verbänden an. Sie wissen, was euch gut tut. Dabei zeigt die Lebenserfahrung, dass im Verhältnis zwischen Sportler und Funktionär große Skepsis angebracht ist.

Applaus aus Dalmatien
Gerade die Isu hat reichlich Gründe geliefert, warum ihr kaum in homöopathischen Dosen zu trauen ist. Der Verband ist verantwortlich auch für zahllose Skandale im Eiskunstlauf, darunter einen der größten der olympischen Geschichte in Salt Lake City 2002. Und er hat in Sachen Pechstein ein Fehlurteil erstritten, auf seiner Position beharrt, als Mediziner in Pechsteins Namen den Beweis für die Unhaltbarkeit der Sperre angetreten hatten. Dieser Verband also soll keine grundsätzlich anderen Interessen als die Sportlerin, die ihn verklagt hat, vertreten? Das Urteil des BGH nahmen die Teilnehmer des Isu-Kongresses, die derzeit an Dalmatiens Küste tagen, mit Applaus auf. Oh Wunder.
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Das Urteil ist, unabhängig von der Frage, ob der BGH richtig liegt, ein unmissverständlicher Hinweis auf die Versäumnisse der Sportler in den vergangenen Jahrzehnten: Sie haben nicht dafür gesorgt, angemessen an der Macht im Sport beteiligt zu werden. Das Vertrauen zahlreicher, insbesondere deutscher Athleten in die Vorkämpferin Pechstein hat getrogen. Sie allein hat das Machtsystem zwischen Verbänden und Sportlern zwar in Frage gestellt, aber nicht verändert. Und sie wird es wohl nicht verändern. Es sei denn, das Bundesverfassungsgericht würde sich ihrer Auffassung anschließen. Das wäre eine große Überraschung.
Wer sich durch die Verbände in seinen Rechten verletzt sieht, sollte nicht allein auf Pechstein setzen. Grund zu Klagen gibt es genug. Nicht immer müssen diese bis vor die Gerichte getragen werden. Aber auch für Sportler gilt: Wer Macht und Mitsprache will, muss diesen Anspruch laut und deutlich formulieren. Und vor allem handeln und verhandeln. In eigener Sache und aus eigenem Interesse, auf Augenhöhe mit den Funktionären.
