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Anti-Doping-Forscher Simon : „Verwerflich, wenn man da mitmacht“

Perikles Simon macht sich keine Illussionen: Die Abwehrreflexe gehen zu Lasten der Athleten, während das Verbandssystem reingewaschen wird. Bild: Imago

Endlich lässt eine lange blockierte Studie das tatsächliche Doping-Ausmaß erkennen. Der Anti-Doping-Forscher Perikles Simon kündigt im F.A.Z.-Interview resigniert an, aus dem Sportsystem zu flüchten.

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          Sechs Jahre hat es gedauert, bis die Studie mit der Doping-Quote unter Spitzenathleten bei der Leichtathletik-WM 2011 von wenigstens zu 30 Prozent am Dienstag veröffentlicht werden konnte...

          Anno Hecker
          Verantwortlicher Redakteur für Sport.

          ...wenn Dr. Sandberger, ein internationaler Rechtsexperte, sich nicht eingeschaltet hätte, dann gäbe es keine Publikation.

          Die Welt-Anti-Doping-Agentur als Auftraggeber und der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) haben sich gegenseitig immer wieder verantwortlich gemacht für die Verzögerung der Publikation, an der sie mitgearbeitet haben. War das Absicht?

          Ich kann es nicht anders verstehen. Die entscheidenden Stellen und ihre höchsten Vertreter in Wada und IAAF haben noch auf einer Sitzung im britischen Parlament, in der unsere Studie besprochen wurde, Gegenpositionen eingenommen. Dann erreicht uns die Information, dass Wada-Chef Howman zur IAAF wechselt. Es geschieht auch andernorts, dass die Hüte gewechselt werden. Aber für mich ist klar, dass ich dieses Sportsystem als Wissenschaftler flüchtend verlassen muss. Mit ihm ist ein unabhängiges wissenschaftliches Arbeiten nicht möglich.

          Warum?

          Ohne strukturelle Anpassung können wir nichts erreichen. Die Zahlen (ein Drittel der WM-Teilnehmer und 45 Prozent der Athleten bei den Panarabischen Spielen 2011 räumten Doping ein (d.Red.) sprechen doch für sich. Die Ohnmacht Doping zu bekämpfen folgt einer gewissen Logik in der Vorgehensweise auf die immer wieder aufkochenden Skandale. Die dann folgenden sporttypischen Abwehrreflexe gehen zu Lasten der Athleten. Ihnen werden alle Verbindlichkeiten und Beschwerlichkeiten auf die Schultern geladen, während das Verbandssystem, Sportpolitik und die Handlungen Außenstehender reingewaschen werden. So wird es auch jetzt wieder sein. Da gebe ich mich keiner Illusion hin. Es wird wider besseren Wissens hauptsächlich das Testsystem hochgefahren und der Athlet belastet und in den Fokus genommen. Es werden wieder Schwarze Schafe gesucht und gefunden. Das war es dann, und wir gehen in die nächste Doping-Dekade. Wir müssen erkennen, auf welch unterirdischem Niveau wir uns im Anti-Doping-Kampf bewegen.

          Was bedeutete das für den Anti-Doping-Kampf?

          Dass die von uns festgestellten Doping-Quoten bis in alle Ewigkeiten zementiert werden. Es wird keine Verbesserung geben. Es hat in den vergangenen Jahrzehnten keine nachweisliche Verbesserung gegeben. Die Situation für die Athleten ist immer schlimmer geworden. Sie sind nicht von dem Druck befreit worden zu dopen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Athleten das Doping zugeben.

          Wieso?

          Wir haben mit der gleichen Methode Athleten der Eliteschulen des Sports und im Nachwuchsleistungssport befragt. Bei den Eliteschulen kamen wir auf null Prozent Doping-Quote mit derselben Technik, im Nachwuchsleistungssport auf 6,8 Prozent. Jetzt sprechen wir von 30 und 45 Prozent aufwärts. Es ist sicher, dass aus dem Nachwuchsleistungssport zum Teil Personen hervorgegangen sind, die nun zugaben, in den letzten zwölf Monaten vor dem Wettbewerb Doping-Mittel genommen zu haben. Das die das eigentlich nicht wollen, ist uns sonnenklar. Stärkere Überzeugungstäter werden sie für den sauberen Sport nicht mehr finden als im Hochleistungsnachwuchssport. Wir haben nirgendwo in der Gesellschaft so niedrige Hobby-Doping-Quoten. Wir wissen also: Hier werden Menschen genötigt zu etwas, das System nötigt sie dazu. Da kann ich nicht mitmachen. Das ist verwerflich, wenn man da mitmacht.

          Was müsste man tun, damit Sie wieder mitmachen?

          Die Strukturen müssten geändert werden. Bei uns hat das Bundesinnenministerium (BMI) die Förderhoheit und verbindet die Vergabe mit einem Medaillenauftrag an den Sport. Eine Kontrolle gibt es nicht. Vor dem BMI müsste sich aber das Gesundheitsministerium mit der Spitzensportförderung beschäftigen. Wer, wenn nicht dieses Ministerium ist an erster Stelle verantwortlich für das, was wir da sehen? Die nächste Instanz wäre das Justizministerium und dann irgendwann das BMI, wenn es Medaillen sehen will. Alles andere geht an der Fürsorgepflicht für Athleten, das sind auch Menschen, selbst wenn sie dopen sollten, vorbei.

          Liegt die Dunkelziffer bei 50 Prozent?

          Das ist eine sehr konservativ-vernünftige Schätzung für den absoluten Hochleistungssport. Das heißt auch, dass es dort saubere Athleten gibt, die wir aber nicht identifizieren und schützen können vor diesem System. Die wissen vielleicht mehr als wir, aber ich sehe keine vernünftige Möglichkeit, dass diese Athleten eine Stimme bekommen.

          Weil Verbände, wie die IAAF zu Zeiten Ihrer Studie, hochgradig korrupt waren, positive Doping-Tests gegen viel Geld verschwinden ließen?

          Die Frage ist, wie massiv die Bestechlichkeit an der Spitze der Verbände war und ist, wie stark die Verknüpfung dieser bestechlichen Funktionäre mit der Politik und der Wirtschaft ausgeprägt ist. Das scheint mir noch nicht annähernd aufgearbeitet. Ich sehe nur, dass sich die IAAF-Ethik-Kommission selbst freispricht. Diese Verbände sind Multi-Millionen-, teilweise sogar Milliarden-Unternehmen des Sports, die genauso einer Kontrolle unterworfen sein müssten wie VW oder Daimler. Sie dürfen nicht protegiert werden um der Medaillen willen. Das betrachte ich als Hauptimpuls für die Manipulation. Die Wada hat das in einem Bericht von 2012 deutlich beschrieben. Warum will man dagegen nichts unternehmen? Warum soll denn der kleine Athlet dafür verantwortlich sein? Wer in einem derart korrupten Sportsystem Karriere macht, in dem zum Schluss 50 Prozent Doper unterwegs sind, gegen den darf und muss man staatsanwaltlich ermitteln. Wie viel mehr Verbrechen am Menschen ist denn noch notwendig?

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