Innovative Landwirtschaft : Exotisches vom Acker aus der Nachbarschaft
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Empfindliche Ackerfrucht: Die Süßkartoffel muss von Hand geerntet werden, da ihre dünne Schale leicht Schaden nimmt. Bild: dpa
Auf hessischen Äckern wächst mehr, als man glaubt. Süßkartoffeln, Ingwer und Quinoa zum Beispiel – sogar in ausgezeichneter Qualität.
Die Melisse ist eines der ältesten Heilkräuter, das schon Hildegard von Bingen gegen Müdigkeit und Traurigkeit empfahl. So wächst sie schon seit Jahrhunderten in Klostergärten und ist Bestandteil für Kräuterelixiere. Doch ursprünglich stammt die Heilpflanze aus dem Mittelmeerraum.
Auf dem Hof Bodengut in Gernsheim wird Melisse in großem Stil angebaut und zusammen mit anderen Kräutern zu Tee verarbeitet. Dieser wurde jetzt von der Marketinggesellschaft „Gutes aus Hessen“ mit einer Goldmedaille in der Kategorie „Tee und teeähnliche Erzeugnisse“ prämiert, zudem mit einem goldenen Sonderpreis für Nachhaltigkeit, weil, wie die Jury mitteilte, „Tee aus heimischen Heil- und Gewürzpflanzen nur kurze Transportwege hat und viel weniger klimaschädliche Emissionen verursacht als importierte Ware aus dem Ausland“.
Regional produzieren will Bodengut-Geschäftsführer Jirko Stiller noch weitere Produkte. Er plant ein riesiges Gewächshaus für Tomaten, Gurken und Paprika in Südhessen. Die Tee- und Gewürzpflanzen baut Bodengut auf knapp 20 Hektar an und verarbeitet deren Blätter, Blüten und Samen zu Kräutertees. Pfefferminze ist dabei die wichtigste Kultur, gefolgt von Melisse, Kamille und Fenchel. Unkraut wird auf allen Kräuterfeldern mechanisch und händisch entfernt – Herbizide kommen nicht zum Einsatz. Der Agrarökonom Jirko Stiller hat den Prozess über mehrere Jahre entwickelt und immer wieder optimiert.
Vielfalt bei den Exoten
Die Vermeidung von Chemieeinsatz und langen Transportwegen hat auch der Mudda Natur GmbH aus Wölfersheim für ihre Quinoa-Produktion einen Nachhaltigkeits-Preis eingebracht ebenso wie dem Hofgut Dagobertshausen in Marburg für seinen Ingwer. Letzterer überzeugte die Jury „mit seinem außergewöhnlich zarten Geschmack“ auch in der Sonderkategorie „Exoten“.
Für diese Sonderkategorie hatte sich eine ganze Reihe von Produzenten beworben: 19 hessische Lebensmittelbetriebe mit insgesamt 47 verschiedenen Erzeugnissen: Brot und Backwaren, Fertigmahlzeiten, Fruchtsaft, Wein, Joghurt, Käse, Koch- und Brühwurst, Rohwurst, Spirituosen, Tee, Wein sowie Wild. Neben Klassikern beeindruckte die Vielfalt bei den Exoten.
„Innovativen und risikobereiten Landwirten ist es gelungen, hier außerdem einige exotische Sonderkulturen zu etablieren, die unser regionales Lebensmittelangebot enorm bereichern“, berichtet eine Sprecherin der Marketinggesellschaft, die den Produzenten dabei hilft, ihre Waren unter anderem in Rewe-Märkten anzubieten.
Beispielsweise auch Speisemohn, den Alexander Jung aus Pohlheim anbaut. Die schwarzen Samen kommen üblicherweise aus der Türkei, Tschechien und Ungarn. Auch in Österreich hat der Anbau von Speisemohn eine lange Tradition. In Deutschland war er lange verboten. Der Grund: Schlafmohn ist eine morphinhaltige Pflanze, aus der Opium gewonnen wird. Mittlerweile sind jedoch drei morphinfreie Schlafmohnsorten zugelassen, die unbedenklich als Lebensmittel geeignet sind.
In der Trocknung, Reinigung und Aufbereitung der geernteten Mohnsamen steckt die meiste Arbeit. Dafür hat Jung, der im Hauptberuf Maschinenbautechniker ist und die Landwirtschaft im Nebenerwerb betreibt, eigens eine spezielle Reinigungsanlage entwickelt.
Noch deutlich weitere Wege als der Mohn legt gewöhnlich Ingwer zurück, bis er in einem hiesigen Supermarkt landet. Meist kommt die exotische Knolle aus den Subtropen Südostasiens und Südamerikas. Aber auch in Marburg gedeiht Ingwer. Auf dem Hofgut Dagobertshausen kultiviert Landwirt Helfried Eden den Ingwer im geschützten Tunnelanbau. Geerntet wird Mitte bis Ende Oktober ein Teil geht an den regionalen Einzelhandel, der übrige Ingwer wird, kandiert oder zu Tee verarbeitet, im Hofladen und in der Gastronomie angeboten.