Fachkräftemangel : Mit diesen Mitteln werben Betriebe um Mitarbeiter
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Gratwanderung: Auf Baustellen und in Betrieben gehen zunehmend die Fachkräfte aus. Bild: Lucas Bäuml
Fachkräfte zu finden und zu binden gehört aktuell zu den größten Herausforderungen. Einige Firmen stellen deshalb auf eine Vier-Tage-Woche um.
Frisches Obst, Kaffespezialitäten, Einkaufsgutscheine, Jobticket, mobiles Arbeiten – Unternehmen lassen sich einiges einfallen und scheuen zum Teil kaum Kosten, um attraktiv für Mitarbeiter zu sein. Dabei geht es nicht nur darum, die besten Talente für sich zu gewinnen und zu halten; immer mehr Betriebe haben Schwierigkeiten, überhaupt Mitarbeiter zu finden. Erst kürzlich hat eine Befragung der Initiative der Industrie- und Handelskammern in der Rhein-Main-Region ergeben, dass die große Mehrheit der Betriebe, die neues Personal suchen, Probleme bei der Besetzung von Stellen hat.
Und die Lücke wird immer größer: Nach Prognosen einer kürzlich veröffentlichten Studie des hessischen Sozialministeriums in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität Frankfurt fehlen in Hessen bis 2028 rund 200.000 Fach- ebenso wie schlichte Arbeitskräfte, weil die Babyboomer in Rente gehen.
Das zeigt, dass der Wettbewerb um Arbeitskräfte härter wird. Schon jetzt zielen zum Beispiel Radiospots von Unternehmen immer häufiger nicht auf Imagefaktoren ab, sondern haben die Akquise neuer Arbeitnehmer zum Ziel. Doch nicht alle Arbeitgeber können sich teure Werbung oder Incentives leisten, nicht jeder Betrieb kann attraktive Arbeitsmodelle, Sabbaticals oder mobiles Arbeiten anbieten. In Handwerksbetrieben etwa ist es nicht der Mitarbeiter, der entscheidet, wo gearbeitet wird, und schon gar nicht im Homeoffice.
25 Lange Wochenenden statt Viertagewoche
Wie also können mittelständische Betriebe künftig Mitarbeiter finden, die sie brauchen, um Aufträge abzuarbeiten?
Peer Hildmann hat sich darüber schon länger Gedanken gemacht. Der Geschäftsführer und Inhaber der beiden Sanitärunternehmen „Hildmann Bad und Heizung“ in Kronberg und „Karl Lotz“ in Frankfurt stieß allerdings nicht gleich auf Begeisterung, als er seinen Mitarbeitern 2019 anbot, nur noch vier Tage pro Woche zu arbeiten. „Ich wollte ihnen etwas Gutes tun, aber erst mal gab es statt Begeisterung einen Shitstorm“, erzählt der Unternehmer.
Denn 40 Wochenstunden anstatt auf fünf nur auf vier Tage zu verteilen, empfand nicht jeder Angestellte als Vorteil. Die einen hatten Verpflichtungen in der Familie oder im Verein, andere scheuten die langen Tage. Schließlich kam Hildmann auf die Idee, seinen Mitarbeitern 25 lange Wochenenden im Jahr anzubieten, an denen jeweils am Montag und Freitag nicht gearbeitet wird.
So sparten die Beschäftigten auch Zeit und Geld für Fahrten. Mehr als die Hälfte seiner Leute nimmt das Angebot inzwischen an und freut sich über die gewonnene Zeit, berichtet Hildmann. Hildmann selbst ist zudem als Coach in der Region unterwegs, berät andere Handwerker, die ein ähnliches Modell einführen wollen.
Auszubildende fehlen
Auch Kai Rosenberg, Geschäftsführer von Dörflinger Elektrotechnik GmbH, setzt auf die Vier-Tage-Woche. Bei ihm ruht der Betrieb allerdings immer am Freitag, die Mitarbeiter leisten ihre 37,5 Arbeitsstunden an vier Tagen. Rosenberg will mit dem Modell vor allem attraktiv für neue Mitarbeiter werden. „Wir starten jetzt damit auch Kampagnen in den sozialen Medien“, erzählt er und antwortet auf die Frage, wie viele Leute er denn suche: „Fast unbegrenzt.“
Der Bedarf an Mitarbeitern lässt manch alteingesessenen Betrieb flexibler werden. Andreas Schmitt, dem die Bäckerei- und Kaffeehaus-Kette Café Ernst gehört, bietet, wie er sagt, insgesamt 90 unterschiedliche Arbeitszeitmodelle an. Wenn das nicht reicht, „dann bauen wir jedem ein eigenes“. Doch selbst solche Flexibilität reicht nicht immer. „Der Arbeits- und Fachkräftemangel wird mit der demographischen Entwicklung seine Wucht von Jahr zu Jahr mehr entfalten“, prognostiziert Dirk Pollert, Geschäftsführer bei der Vereinigung hessischer Unternehmerverbände.
Die Auszubildenden, die in vielen Berufen schon heute fehlen, sorgen in einigen Jahren für eine weitere Lücke bei Stellen, die Unternehmen dringend besetzen müssten, um ihrer nach wie vor gut gefüllten Auftragsbücher Herr zu werden. Und gerade kleinere, inhabergeführte Betriebe könnten vor dem Problem stehen, keinen Nachfolger mehr zu finden. So mahnt der Hauptgeschäftsführer der IHK Wiesbaden, Bernhard Mundschenk, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre jeder fünfte Handwerksbetrieb in seinem Bezirk einen Nachfolger suche – viele davon werden vermutlich erfolglos bleiben.