Chemieindustrie : Vom Auspuff ins Trinkglas
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Das „Herz der Brennstoffzelle” Bild: Bergmann
Motorrollerfahren ohne Abgase und Heizen ohne Öl? Junge Unternehmen im Frankfurter Industriepark Höchst arbeiten an diesen Zielen - auch gemeinsam.
.Wenn Uz Baumgart auf seinem Roller durch den Industriepark Höchst kurvt, dann dampft es zwar aus dem Auspuff. Aber es müffelt nicht. Schon gar nicht ölig nach Zweitakter. Die Maschine stößt lediglich Wasserdampf aus. Und der ist, wenn er aufgefangen wird und kondensiert, sogar trinkbar - „ohne Witz“, sagt der Unternehmer. Im August will er den Roller mit Wasserstoffmotor auf dem Gelände der früheren Hoechst AG im Frankfurter Westen vorführen. Dann können sich Zweifler überzeugen lassen.
Baumgart hat das Gefährt nicht selbst entwickelt. Der Roller ist vielmehr vor einigen Jahren von dem oberpfälzischen Kraftfahrzeugmeister Sepp Zeitler entwickelt worden. Der Tüftler nahm sich einen herkömmlichen 50-Kubikzentimeter-Mopedmotor, den er mit einer Wasserstoff-Direkteinspritzung ausstattete. 2003 wurde das Zweirad bei der Hannover Messe präsentiert. Baumgart hat sich die Hälfte der Rechte an der innovativen Entwicklung gesichert und will sie vollends zur Marktreife bringen.
Der Cardec-Gründer sieht das Gefährt als Teil des im vergangenen Herbst begonnenen „Zero Regio“-Projekts. Dieses mit rund 19 Millionen Euro ausgestattete und von der Europäischen Union mit 7,5 Millionen Euro geförderte Vorhaben zielt darauf ab, im Rhein-Main-Gebiet die Alltagstauglichkeit von Fahrzeugen zu beweisen, die von Brennstoffzellen angetrieben werden. Für den Wasserstoff-Roller sieht Baumgart zwei wesentliche Einsatzmöglichkeiten: bei Kurierdiensten im Industriepark Höchst und bei Fahrten auf dem Frankfurter Flughafengelände, auch und gerade innerhalb der Terminals.
120 Kilometer mit einer Tankfüllung
Das Zweirad fährt bis zu 50 Kilometer in der Stunde. Eine Tankfüllung reicht für etwa 120 Kilometer. Danach muß Wasserstoff nachgefüllt werden. Und das wird kein Problem darstellen, wie Baumgart erklärt: In einem mitgelieferten Gerät soll destilliertes Wasser mit Solarenergie in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Roller und Wasser-Wandler sollen im Paket nicht mehr als 5000 Euro kosten und Ende 2006 serienreif sein.
Der Wasserstoff-Roller könnte ein großer, wenn auch im Vergleich zur herkömmlichen Technik noch relativer Erfolg werden: Baumgart liegen Anfragen für einige zehntausend Stück im Jahr vor, wie er sagt. Zum Vergleich: Branchenriese Piaggio (“Vespa“) lieferte 2004 mehr als 329000 Zweiräder aus. Allerdings ist die Cardec nicht konkurrenzlos. Wie beim Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband zu erfahren ist, bietet auch eine britische Firma ein mit Wasserstoff betriebenes Zweirad an.
Die Cardec setzt nicht nur auf Innovationen für den mobilen Menschen. Die Firma möchte auch Brennstoffzellen produzieren, die Laptops, Segelboote und sogar Häuser mit Energie versorgen können. Prototypen befinden sich in Konstruktion und sollen Mitte 2006 fertig werden. Als „Herz der Brennstoffzelle“ dienen sogenannte Membran-Elektroden-Einheiten der - wie Cardec - im Höchster Industriepark ansässigen Pemeas Fuel Cell Technologies GmbH.
Noch zu Hoechst-Zeiten angestoßen
Die Pemeas stellt aus speziellem Kunststoff gefertigte Folien (Membrane) her. Diese werden mit einem Vlies (Elektrode) beschichtet und bilden die Membran-Elektroden-Einheiten. Das Vlies ist wiederum mit Platin-Katalysatoren versehen, die Sauerstoff und Wasserstoff spalten. Dadurch entstehen Strom und Wärme. Die Pemeas stellt weltweit die einzigen Membran-Elektroden-Einheiten her, die mehr als 120 Grad vertragen. Die Firma genießt noch rund 16 Jahre Patentschutz und sieht sich in einer „einzigartigen Technologieposition“.
Die noch zu Zeiten der Hoechst AG angestoßene Entwicklung ist unter anderem mit dem Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft 2004 gewürdigt worden. Aber sie kommt auch am Markt an. Am Donnerstag stellte Pemeas ein tragbares Brennstoffzellen-System der amerikanischen Firma Ultracell vor. Das Gerät wird mit Membran-Elektroden-Einheiten aus Höchst gebaut und ist für militärische Zwecke entwickelt worden; es kann Computer und Funkgeräte mit Strom versorgen. Die Firma verzeichnet vor allem aus Asien eine steigende Nachfrage, noch allerdings sind die Umsätze angesichts fünfstelliger Beträge im Monat überschaubar - laut Verband steckt die deutsche Brennstoffzellen-Industrie noch in den Startlöchern.
Daß Forscher des Dresdner Fraunhofer-Instituts vor einigen Wochen verkündeten, eine besonders haltbare Hochtemperatur-Brennstoffzelle entwickelt zu haben, sieht man bei Pemeas mit Gelassenheit, wie ein Sprecher sagt. Schließlich haben sich die Dresdner erst auf die Suche nach Investoren begeben, die die Pemeas längst gefunden hat; zu den Gesellschaftern zählen der Chemiekonzern Celanese und der Höchster Industrieparkbetreiber Infraserv.
„Zero Regio“-Projekt mit Daimler, Fraport, Linde und Infraserv
Die Infraserv wiederum betreibt seit gut vier Jahren ein Brennstoffzellen-Blockheizkraftwerk, das die Produktionsanlage der Pemeas mit Strom und Wärme versorgt. Der Wasserstoff steht in ausreichender Menge zur Verfügung: Jährlich entstehen bis zu 30 Millionen Kubikmeter des Gases als Abfallprodukt bei chemischen Prozessen.
Im Rahmen des „Zero Regio“- Projekts, an dem unter anderen auch die Konzerne Daimler-Chrysler, Fraport und Linde beteiligt sind, will die Infraserv bis Mitte nächsten Jahres eine Wasserstoff-Tankstelle im Industriepark in Nachbarschaft zum Flughafen bauen. Bis 2009 sollen sich dann von Daimler-Chrysler gestellte Autos im Alltag beweisen.
Laptops und Busse, angetrieben von schadstofflosen Energiequellen, gibt es schon, und sie sind schön und gut. Autos aber, weil wirtschaftlich und technisch am aufwendigsten, gelten auch in der Wasserstoff-Branche als hohe Schule.