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"Atomkraft" oder "Kernkraft"? : Der Kampf um die Wörter

Ist Biblis ein Atom- oder ein Kernkraftwerk? Für Politiker macht die Bezeichnung einen großen Unterschied

Ist Biblis ein Atom- oder ein Kernkraftwerk? Für Politiker macht die Bezeichnung einen großen Unterschied Bild: dpa

SPD und Grüne rufen für Samstag zu einer Demonstration vor dem Atomkraftwerk Biblis auf. Oder vor dem Kernkraftwerk Biblis? Wie im Wirtschaftsleben mit Wörtern Politik gemacht wird.

          3 Min.

          Roland Koch achtet genau darauf. Für ihn ist Biblis ein Kernkraftwerk. Sein Sprecher Dirk Metz verteidigte 2008 in einem Beitrag für diese Zeitung die Praxis, Wortlautinterviews vom Befragten vor der Veröffentlichung gegenlesen zu lassen, mit genau diesem Beispiel. Wenn Journalisten den vom Ministerpräsidenten verwendeten Begriff der Kernenergie durch Atomkraft ersetzten, wie das oftmals geschehe, sei das keine Petitesse. „Denn Politik ist nun einmal auch ein Kampf um Worte, um Begriffe“, erläuterte Metz.

          Manfred Köhler
          Ressortleiter der Rhein-Main-Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

          So ist es wohl. Und es hat sich eben eingebürgert, dass die Gegner dieser Form der Energieerzeugung von Atomenergie sprechen, deren Befürworter aber von Kernenergie. Warum bloß? Vielleicht, weil die einen die Nähe des Begriffs zu dem der Atombombe unbedingt wollen, die anderen gerade eben nicht. Ein unbesetzter Begriff für diese Art von Anlagen ist jedenfalls nicht zu finden. Es scheint, dass der Begriff der Atomkraft älter ist – der der Kernkraft aber ein bisschen korrekter. „Atomkraftwerk, umgangssprachl. Bez. für ein mit Kernenergie betriebenes Kraftwerk (Kernkraftwerk)“, heißt es knapp im Brockhaus. Kernenergie entstehe schließlich durch Kernreaktionen, wird an anderer Stelle im Lexikon in Erinnerung gerufen.

          Der Kampf um die Wörter tobt an vielen Plätzen...

          Im Internet ist außerdem der Hinweis zu finden, dass in einer Deutschen Industrie-Norm von Kernkraftwerken und Kernreaktoren die Rede sei. Dann muss es ja stimmen. Andererseits wurde aber Franz Josef Strauß 1955 Bundesminister für Atomfragen, und auch die vier Jahre später gegründete Lobbyorganisation für die Kernkraft heißt Deutsches Atomforum. Die heute verbreitete Zuordnung ist also jüngeren Datums. Diese Zeitung hat jedenfalls stets beide Begriffe benutzt, wobei die Kernenergie jedoch aufgeholt hat.

          Doch der Kampf um die Wörter tobt im Wirtschaftsleben an vielen Plätzen. Betreibt McDonald’s wirklich Restaurants, wie der Konzern behauptet? Sind Anlageberater der Banken wirklich Berater oder in Wahrheit Verkäufer? Handelt es sich bei der vorübergehenden Überlassungen von Arbeitnehmern um Leiharbeit, wie die Gewerkschaften schreiben, oder um Zeitarbeit, wie es die damit befassten Unternehmen nennen? Es ist leicht zu ahnen, warum die Arbeitnehmerorganisationen, die diese Art der Beschäftigung nicht mögen, mit einem Begriff operieren, der die Überlassung von Menschen in die Nähe der Überlassung von Gegenständen rückt. Es ist daher umgekehrt ebenso verständlich, dass die Zeitarbeitsunternehmen sich so nennen und nicht anders.

          ... auch in Wiesbaden

          Von genmanipuliertem Mais war auch in dieser Zeitung schon selbst in nachrichtlichen Texten die Rede, wiewohl allein genverändert eine neutrale Wortwahl darstellt. Hat je ein Aktienhändler auf seine Visitenkarte geschrieben, er sei Spekulant? Hat sich je ein Finanzinvestor als Heuschrecke bezeichnet? Der von dem einstigen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering eingeführte Begriff hat sich weit verbreitet. Kaum jemandem fällt auf, dass er damit indirekt Menschen mit Ungeziefer vergleicht; auch der sonst so wachsame Horst Dieter Schlosser hat es niemals zum Unwort des Jahres erkoren.

          Dass man auch in Wiesbaden den Kampf um die Wörter bestens beherrscht, zeigt seit Jahren die Diskussion um den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Obwohl der – juristisch umkämpfte – Planfeststellungsbeschluss 17 Flüge in der Nacht vorsieht, wird weiter von dem einst der Bevölkerung zugesagten Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen gesprochen. Dabei kann es rein logisch ein eingeschränktes oder mit einem sonstwie ausgedachten Zusatz versehenes Nachtflugverbot nicht geben. Verbot ist Verbot, und wenn geflogen wird, wird geflogen, ob nun viel oder wenig. Das rechtssichere Nachtflugverbot, von dem die Landesregierung bisweilen spricht, macht die Sache schon gar nicht klarer.

          Bei der Bahn wird aus dem „Counter“ wieder ein „Schalter“

          Der Kampf um die Wörter wird aber auch noch an einer ganz anderen Front ausgetragen, jener der Anglizismen. Bei Werbeleuten scheint es immer noch als modern zu gelten, wenn Unternehmen englischsprachige Begriffe verwenden, aber vielleicht kippt dieser Trend gerade. Die Deutsche Bahn jedenfalls hat kürzlich angekündigt, dass sie aus ihren Countern wieder Schalter machen werde und aus Flyern Broschüren. Nur zu dem Fahrradverleih namens Call a Bike ist im Staatskonzern niemandem eine deutsche Übersetzung eingefallen. Die Bahn hat in ihrer 175 Jahre langen Geschichte aber auch schon die Epoche der Coupés und Billets überstanden und ist doch ein urdeutsches Unternehmen geblieben, was man auch von der Telekom annehmen darf, selbst wenn sie ihre Tarife Call Basic nennt, Call Plus und Call Comfort.

          Weniger umstritten sind die Neuerfindungen von Unternehmensnamen wie Mainova, Fraport und Aventis, mit denen sich solche Konzerne im Kampf um die Kunden oder Investoren in irgendeiner Weise Vorteile verschaffen wollen, weil derlei in diffuser Weise modern klingt. Ob es hilft, lässt sich wohl kaum messen. Leichter nachzuvollziehen ist schon, dass die 1948 gegründete Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht auf immerdar schon durch ihren Namen mit der Nachkriegszeit verbunden werden wollte. Ob die Alternative aber besser ist? Der Frankfurter Konzern nennt sich seit einigen Jahren KfW-Bankengruppe, korrekt nur mit kleinem f. Der Kampf um die Wörter treibt bisweilen die schönsten Blüten.

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