Hat viel zu tun: Frank Martin, der Chef der hessischen Arbeitsagenturen Bild: Finn Winkler
Bei den hessischen Arbeitsagenturen richtet man sich auf einen langen Winter ein. Eine Besserung erwartet der Chef der Behörde, Frank Martin, aber zuerst in der Branche, die am stärksten leidet.
- -Aktualisiert am
Frank Martin ist seit 2010 Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit. Zuvor war der Vierundvierzigjährige Geschäftsführer Interner Service der Regionaldirektion und davor fünf Jahre lang Berater und Projektleiter bei der Unternehmensberatung McKinsey. Noch vor einem Jahr hatte er stetig sinkende Arbeitslosenzahlen verkünden können und für 2020 eine „verhalten positive“ Prognose abgegeben. Trotz der Auswirkungen der Corona-Pandemie aber hat sich der Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr als relativ robust erwiesen. Selbst im November ging die Arbeitslosigkeit zum dritten Mal in Folge seit Beginn der Krise zurück, sie lag zum Stichtag Anfang November bei 5,5 Prozent. Wie sie sich seit Beginn des zweiten Lockdowns entwickelt hat, zeigen die Dezember-Zahlen: die Arbeitslosenzahl ist erfreulicherweise gesunken. Eine große Herausforderung ist weiterhin die Verwaltung der Kurzarbeit.

Redakteurin in der Rhein-Main-Zeitung.
Die Corona-Impfungen haben begonnen, bedeutet dies das Ende von Kurzarbeit und Entlassungen?
Es ist zwar ein gutes Signal, aber auf dem Arbeitsmarkt werden sich die ersten Effekte erst zeigen, wenn sich das wirtschaftliche Leben wieder normalisiert. Damit ist vor dem Sommer nicht zu rechnen. In der Luftfahrt- und Reisebranche ist damit wohl selbst im dritten Quartal des nächsten Jahres noch nicht zu rechnen. Auch die Logistikbranche ist ausgebremst und der stationäre Handel. Nur beim Bau läuft es noch relativ normal. Es wird sich zeigen, was davon nach der Krise im gleichen Umfang gebraucht wird wie vorher.
Die Arbeitslosenquote liegt nach einem Abflauen im Dezember bei 5,4 Prozent, wird sie steigen?
In den nächsten Monaten auf jeden Fall, weil sie im Winter immer steigt. Was aber jenseits der saisonbedingten Effekte passiert, wird sich zeigen. Ein Problem ist, dass es auch nur sehr wenige Neueinstellungen gibt. Noch hilft vielen die Verlängerung der Kurzarbeit. Es war wichtig, sie bis zum Ende 2021 zu ermöglichen. Wenn das normale Insolvenzrecht wieder greift und staatliche Hilfen reduziert werden, könnte es zu deutlich höheren Arbeitslosenzahlen kommen. Eventuell wird der Staat auch Unternehmen retten müssen, um den Arbeitsmarkt zu entlasten.
Haben Sie genügend Instrumente, um die Menschen wieder in Arbeit zu bringen?
Daran herrscht kein Mangel, es gibt ausreichend Angebote. Was wir aber vor allem brauchen, sind branchenspezifische Lösungen. So wird selbst bei der Rückkehr einer gewissen Normalität beispielsweise der Luftverkehr wohl langsamer anlaufen als andere Branchen. Denn wer jetzt seinen Sommerurlaub bucht, setzt vermutlich sicherheitshalber eher auf die Ostsee. So ist ein Teil des Sommerreisegeschäfts wohl schon verteilt, bevor es wieder viele Reisemöglichkeiten gibt. Ob die Geschäftsreisen jemals so zurückkommen werden wie zuvor, ist auch fraglich, schließlich sind Reisekosten auch Kosten. Die alte Normalität wird es wohl nicht mehr geben.
Vertrauen Sie auf unsere fundierte Corona-Berichterstattung und sichern Sie sich 30 Tage freien Zugriff auf FAZ.NET.
JETZT F+ KOSTENLOS SICHERNWelche Branchen können denn profitieren und damit mehr Personal brauchen?
Die Anbieter von Video-Konferenz-Systemen haben beispielsweise schon jetzt profitiert. Denn die digitale Zusammenarbeit wird es auch in Zukunft verstärkt geben. Da wächst eine neue Branche mit Chancen für Beschäftigung.
Wie sieht es mit Zeitarbeit und Arbeitnehmerüberlassung aus?
Zeitarbeit ist noch immer ein wichtiges Instrument zur Abfederung von Auftragsspitzen. Zudem kann sie helfen, Menschen in feste Jobs zu bringen. Sie macht aber nur 1,6 bis 1,7 Prozent des deutschen Arbeitsmarktes aus, sie lag mal bei mehr als 2,5 Prozent. Und die Arbeitnehmerüberlassung ist aber auch überall da notwendig, wo Fachkräfte fehlen. Wir werden auch in Zukunft Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt brauchen. Ohne Ärzte und Pflegepersonal aus Osteuropa kämen wir ebenso wenig aus wie ohne Schlachter und Erntehelfer.