Windkraftpläne in Südhessen : „Seit Jahresanfang geht es rund“
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Herausragend: In Südhessen – hier bei Groß-Umstadt – sollen besonders viele Windräder gebaut werden. Bild: Kretzer, Michael
Kerstin Schultz aus Darmstadt hat sich als Kritikerin der hessischen Energiewende einen Namen gemacht. Sie fordert eine breite Debatte über Schwachpunkte – und fürchtet ein Worst-case-Szenario.
Auf Südhessens wohl prominenteste Windkraftgegnerin kommt viel Arbeit zu. Am 8. Mai läuft jene Frist ab, die es Kommunen, Behörden und Bürgern erlaubt, Stellungnahmen zum Regionalplan Südhessen und zu den darin ausgewiesenen Vorranggebieten für die Windenergienutzung abzugeben. Für Kerstin Schultz ist schon abzusehen, dass die Aufsichts- und Genehmigungsbehörde es mit einer wahren Papierflut zu tun bekommt. „Allein aus Neu-Anspach werden wohl um die 10.000 Stellungnahmen eingereicht“, sagt die Darmstädter Architektin und Hochschullehrerin, die im vergangenen Jahr die Internetplattform „Windkraft – Ja, aber...“ gründete.
Ihrer Forderung, statt eine „willkürliche und rein wirtschaftlich motivierte kommunale Flächenplanung“ zu betreiben, auf eine „intelligente und zukunftsweisende Gestaltung der Energiegewinnung in Hessen“ zu setzen, schlossen sich innerhalb weniger Wochen Tausende Bürger an. Der Protest hat seitdem weiter zugenommen. Die Zahl der Bürgerinitiativen in Südhessen, die sich gegen den Bau von Windrädern wenden, beziffert Schultz aktuell mit 35. Die Gesamtzahl der Unterschriften auf verschiedenen Petitionen gegen Windkraftprojekte betrage gut 32.000.
Schultz bündelt die verschiedenen Initiativen in Südhessen
Allein für den Odenwald hat Schultz 8500 Unterzeichner gezählt. Der Odenwald, der Rheingau-Taunus-Kreis und der Main-Kinzig-Kreis sind nach der Regionalplanung jene Regionen, die die Hauptlast der Energiewende tragen sollen. Bei ihnen liegen die vorgesehenen Vorrangflächen für Windnutzung jeweils deutlich höher als jene 2,8 Prozent, die für den gesamten Regierungsbezirk nach derzeitiger Planung gelten.
Dass Schultz viel zu tun hat und noch mehr zu tun bekommt, hängt an ihrer Funktion und ihren weiteren Plänen. Früher hat sich das gesellschaftliche Engagement der Architektin auf die Ausrichtung des Darmstädter Architektursommers konzentriert. Durch die Internetaktion ist sie inzwischen zu einer wichtigen und vielgefragten Kontaktperson für die verschiedenen Initiativen in Südhessen und darüber hinaus geworden.
Kritikpunkte müssen nun zusammengefasst werden
Im März war sie mit Vertretern aus dem Taunus, dem Odenwald und dem Spessart bei Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Das Gespräch habe sie einerseits ernüchtert, weil der Ministerpräsident deutlich erklärt habe, er wolle an den Ausbauzielen festhalten, sagt Schultz. Andererseits habe er aber auch eine Tür geöffnet: „Bouffier hat gesagt, er begrüße die von uns initiierten Diskussionen und den Austausch von verschiedenen gleichwertigen Interessengruppen. Und er hat vorgeschlagen, gemeinsam mit den Landtagsfraktionen und den Bürgerinitiativen das Thema und die Streitpunkte zu besprechen.“
Genau vor dieser Aufgabe sehen sich Schultz und ihre Mitstreiter wie Peter Wassenaar nun gestellt: die Streit- und Kritikpunkte der hessischen Energiewende zusammenzufassen. Der Michelstädter Wassenaar, der im Arbeitskreis Alternative Energie Odenwald und im Naturschutzzentrum Odenwald aktiv und außerdem mit einer Fledermaus-Spezialistin verheiratet ist, hat schon ganze Aktenordner mit jenem kritischen „Bürgerwissen“ zusammengetragen, das in den Initiativen bislang angefallen ist. Seine Liste könnte man als eine Art „Schwarzbuch der hessischen Energiepolitik“ bezeichnen. Immer wieder beklagt wird zum Beispiel, dass sich Betreiber von Windkraftanlagen nicht an die mit der Genehmigung verbunden Auflagen hielten. Festgelegte Rodungszeiten für den Bau der Anlagen würden ebenso ignoriert wie die vorgeschriebene Abschaltung der Windräder während des Vogelflugs oder zum Schutz von Fledermäusen. Faktisch kontrolliere niemand die Einhaltung der Auflagen.
Ende der Offenlegungsfrist
In seinen Unterlagen hat Wassenaar ebenfalls Schreiben, in denen Bürger monieren, dass ihnen Einblicke in die Gutachten zum Tier-, Natur- und Artenschutz von den Anlagenbetreibern gänzlich verweigert würden. Windmessungen zur Berechnung der Wirtschaftlichkeit von Anlagen erwiesen sich teilweise als falsch, wie im Odenwald an drei Projekten habe nachgewiesen werden können. Auch das Regierungspräsidium reagiere auf Anfragen nicht immer bürgerfreundlich. Allein der Hinweis, dass ein „Auskunftsersuchen“ bis zu 600 Euro kosten könne, wirke abschreckend. „ Es gibt heute Initiativen, die geben privat Gutachten in Auftrag und geben dafür sehr viel Geld aus. Das ist doch ein Skandal“, sagt Schultz.
Die Darmstädterin sieht jetzt den richtigen Zeitpunkt für einen Dialog zwischen Politik und Windkraft-Kritikern gekommen, weil die Regionalplanung mit dem Ablauf der Offenlegungsfrist in eine wichtige Phase komme. Es gelte, Stellungnahmen und Kritikpunkte der Initiativen zusammenzufassen und darüber zu diskutieren mit dem Ziel, Lehren aus den bisherigen Erfahrungen zu ziehen.
Im Moment gebe es durch die Energiewende sehr viel „Zerstörung und Verlust“, sagt Schultz. Notwendig seien strengere Auflagen, strikte Kontrollen, eine Überarbeitung der veralteten landschaftsästhetischen Kriterien für den Windradbau und mehr Transparenz in den laufenden Verfahren. Außerdem hofft sie, die Politik für ein Moratorium gewinnen zu können. Es dürfe nicht sein, dass bis zur endgültigen Verabschiedung der Regionalplanung in voraussichtlich drei Jahren die Genehmigung beantragter Windkraftanlagen nach Paragraph 35 des Baugesetzbuches geschehe.
Wie die Liste des Regierungspräsidenten über die beantragten Windräder zeige, gehe es „seit Anfang des Jahres rund“. Wenn dem nicht Einhalt geboten werde, glaubt die Professorin, die an der Hochschule Darmstadt den Stiftungslehrstuhl für integralen Gebäudeausbau und Innenbaukonstruktion innehat, werde jenes Szenario wahr, das sie als Anschauungsmaterial in Form einer Computersimulation in ihren Unterlagen mit sich führt. Das Bild zeigt den Rheingau-Taunus-Kreis als Spargellandschaft, die Höhen vollgestellt mit bis zu 200 Meter hohen Windrädern.