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300 Millionen Euro : Wiesbadener stimmen erst 2020 über Citybahn ab

Wiesbaden informiert über die mögliche Citybahn. Dennoch stößt das Projekt bei vielen Bürgern auf Ablehnung. Bild: Cornelia Sick

Die große Mehrheit der Stadtverordneten hält beide Bürgerbegehren gegen den Straßenbahn-Neubau für unzulässig. Dennoch wird den Bürgern die Entscheidung über das 300-Millionen-Projekt überlassen.

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          Am Ende werden die Bürger entscheiden, ob die Straßenbahn als Verkehrsmittel in die Landeshauptstadt zurückkehrt. Mit ihrem Beschluss vom Donnerstagabend haben die Wiesbadener Stadtverordneten mit großer Mehrheit einen Streit entschärft, der die Stadtgesellschaft zunehmend polarisiert. In jedem Fall vor der Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens, spätestens aber vor der Sommerpause 2020, wird es auf Initiative der Stadtverordneten einen Bürgerentscheid über den Bau der Citybahn geben. Die Möglichkeit eines solchen Ratsbegehrens hatte der Gesetzgeber 2016 eröffnet.

          Oliver Bock
          Korrespondent der Rhein-Main-Zeitung für den Rheingau-Taunus-Kreis und für Wiesbaden.

          Wie notwendig diese Möglichkeit ist, zeigt der Fall „Citybahn Wiesbaden“ exemplarisch. Gleich zwei Bürgerinitiativen hatten im Frühjahr mit großem Engagement zusammen mehr als 20.000 Unterschriften gegen das gut 300 Millionen Euro teure Verkehrsprojekt gesammelt. Als größte Hürde für ein erfolgreiches Bürgerbegehren in Hessen gilt aber längst nicht mehr, ausreichend viele Bürger zur Unterstützung eines Anliegens zu bewegen, sondern die Umschiffung aller rechtlichen Klippen und die Erfüllung sämtlicher Kriterien. Daran sind nach Meinung vieler Juristen beide Bürgerbegehren am Ende gescheitert, obwohl eine der beiden Initiativen ihre Fragestellung sogar vorab dem städtischen Rechtsamt zur Prüfung zugeleitet hatte.

          Nachdem dessen Prüfung positiv ausgefallen war, sah sich die Bürgerinitiative auf der sicheren Seite – und musste sich von renommierten Rechtsgutachtern eines Besseren belehren lassen. Kein Wunder, dass die enttäuschte Initiative gestern den Gang vor das Verwaltungsgericht ankündigte. Das Rechtsamt und vor allem Rechtsdezernent Oliver Franz (CDU) stehen jetzt als große Verlierer da, nachdem eine breite politische Mehrheit einschließlich der CDU beide Bürgerbegehren als rechtlich unzulässig bewertete. Nur FDP und AfD waren anderer Ansicht und hielten die Zeit für eine Abstimmung schon jetzt gekommen.

          Kritik an Franz

          Dass das Rechtsamt, das sich im Vorfeld um eine klare, eindeutige Stellungnahme zur rechtlichen Zulässigkeit herumdrückte, nun nicht einmal mit der Formulierung eines rechtssicheren Ratsbegehrens beauftragt wurde, muss als Ohrfeige des Stadtparlaments für Bürgermeister Franz gewertet werden. In der weitgehend sachlichen Debatte übte der CDU-Stadtverordnete und Jurist Hans-Joachim Hasemann-Trutzel offen Kritik an der Schlussfolgerung des von seinem Parteifreund Franz geführten Rechtsamts, eine Entscheidung über die Zulässigkeit zumindest eines der beiden Begehren könne auch nach dem Grundsatz „Im Zweifel für die Bürgerschaft“ gefällt werden. Das laufe auf ein „Im Zweifel für das Unrecht“ hinaus, sagte Hasemann-Trutzel. Die Rechtsgutachten aber seien stimmig, und die Stadtverordnetenversammlung habe keinen Ermessensspielraum.

          Claus-Peter Große (Die Grünen) kritisierte ein „kontraproduktives Verhalten der Dezernatsleitung des Rechtsamtes“ und hielt es für fragwürdig, dass Franz nicht in der Lage gewesen sei, externe Expertisen einzuholen. Auch die SPD mochte den vermeintlichen Ausweg nicht gehen, den Franz dem Stadtparlament aufgezeigt hatte. Fraktionschefin Nadine Ruf sagte, es gebe „keine andere Wahl, als beide Bürgerbegehren als unzulässig abzulehnen“. Linke & Piraten zeigten kein Verständnis, dass sich Franz „vor einer klaren Stellungnahme drückt“.

          Bürgerentscheid über Citybahn

          Nur die FDP berief sich auf Franz als Kronzeuge, dass ein Bürgerentscheid durchaus möglich sei. Alternativ fordert die Fraktion einen sofortigen Beschluss über ein Ratsbegehren. Dazu sollte die aus FDP-Sicht zulässige Fragestellung der Bürgerinitiative „Mitbestimmung Citybahn“ übernommen werden. Das wäre aus Sicht der Fraktion auch als Signal der Stadt an ein Gericht verstanden worden. In namentlicher Abstimmung votierten aber nur 16 Stadtverordnete aus den Reihen von FDP und AfD für dieses Vorgehen.

          Der Mehrheit wäre ein Bürgerentscheid noch in diesem Jahr zu früh gekommen, zumal selbst die Routenführung durch Klarenthal oder Dotzheim noch nicht entschieden ist. Darauf wies Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Die Grünen) hin, nach dessen Angaben bislang schon fast zehn Millionen Euro in Planung und Vorbereitung des Verkehrsprojekts investiert wurden.

          Sachliche Debatte

          Die weitgehend sachliche Debatte im Stadtparlament war geprägt vom Respekt vor dem Engagement der Bürgerinitiativen und vom Konsens, die Entscheidung am Ende auch den Bürgern zu überlassen. Gestritten wurde über den besten Zeitpunkt und die Voraussetzungen für einen vom Stadtparlament zu initiierenden Bürgerentscheid. Der Konsens, auf den sich schließlich die Rathauskooperation aus SPD, CDU und FDP einigte und der mit 58 zu 15 Stimmen gebilligt wurde, berücksichtigt vor allem den drängenden Wunsch der Sozialdemokraten, den Bürgern einen verbindlichen Termin für einen Bürgerentscheid nennen zu können. Der Stadtverordnete Christian Bachmann (Freie Wähler) hat schon in der Sitzung ausgerechnet, dass es wohl auf den 28.Juni 2020 hinauslaufen könnte.

          Die Grünen konnten durchsetzen, dass das politisch schon beschlossene Mobilitätsleitbild jetzt mit hohem zeitlichem Druck erarbeitet wird und bis Ende März 2020 auch tatsächlich zur Beschlussfassung vorgelegt werden kann. Bis dahin soll zudem die Entwurfs- und Genehmigungsplanung für die Citybahn den Status „Antragsreife“ erreicht haben. Damit wäre jener Informationsstand über das Verkehrsprojekt erreicht, den sich die große Mehrheit der Stadtverordneten wünscht, damit die Bürger auf der Basis gesicherter Fakten ihre wohlüberlegte Entscheidung treffen können. Das Streitthema wäre dann schon abgeräumt, ehe im Herbst 2020 der Kommunalwahlkampf langsam Fahrt aufnimmt.

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