Westend-Synagoge : Orthodoxe, Liberale und ganz Fromme
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Meister-Rabbi: Anhänger der Satmar-Chassidim erweisen in der Frankfurte Synagoge dem Gast aus New York (Kopfende in der Mitte) Ehre. Bild: Rafael Herlich
Die Westend-Synagoge hat Geschichte geschrieben. Seit vielen Jahren fängt der Fotograf Rafael Herlich die besonderen Momente in diesem Tempel ein.
Er hat die Besuche der Politiker in der Westend-Synagoge mit seiner Kamera festgehalten. Jenen des Bundeskanzlers Helmut Kohl oder den des Bundespräsidenten Johannes Rau noch in Schwarz-Weiß. Daran lässt sich ablesen, dass Rafael Herlich schon lange der Dokumentarist der hiesigen Jüdischen Gemeinde und damit auch ihres Gotteshauses ist. Der bärtige Mann mit der Kamera ist der bedeutendste Bild-Chronist jüdischen Lebens nicht nur in Frankfurt, sondern in der ganzen Republik. Kein ordinärer Knipser, sondern ein Lichtkünstler, der Gemälde des Judentums mit seiner Kamera malt.
Bei den Jüdischen Kulturwochen, die noch bis Sonntag dauern, zeigt Herlich in einer Ausstellung im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum ausschließlich Aufnahmen, die er in der Westend-Synagoge gemacht hat. Dieser Tempel ist in mehrfacher Hinsicht ein historischer Ort. Vor der Shoa war er ein Zentrum des liberalen Judentums, das in Deutschland weitgehend vernichtet wurde, in Amerika aber seit langem blüht und gedeiht.
In Frankfurt gestrandet
Eine weitere Besonderheit ist, dass die Westend-Synagoge die Nazi-Zeit halbwegs unbeschadet überstanden hat. Sie ist die einzige der drei großen Frankfurter Synagogen, die in der Pogromnacht des 9.November 1938 nicht niedergebrannt wurde. So konnte sie nach dem Krieg zum Nukleus der neuen Jüdischen Gemeinde werden, die in ihrer Mehrheit von osteuropäischen Juden getragen wurde, die mehrheitlich das KZ überlebt hatten und als Displaced Persons in Frankfurt gestrandet waren. Weil diese Überlebenden in der Regel aus dem orthodoxen Kulturkreis stammten, wurde in der Westend-Synagoge der orthodoxe Ritus eingeführt.
Heute ist die Westend-Synagoge insofern ein einzigartiger Ort, als dass dort Gläubige der orthodoxen, der liberalen und der ultraorthodoxen Glaubensrichtung ihren Kult unter einem Dach pflegen können. Im eigentlichen Synagogenbau mit seiner repräsentativen Kuppel feiern die Gläubigen der orthodoxen Hauptgemeinde ihre Gottesdienste. Im ehemaligen Trausaal rechts vom Thoraschrein hat die dem chassidischen Judentum entspringende Chabad-Gemeinde ein Talmudseminar eingerichtet, in dem immer ein Dutzend besonders frommer junger Männer aus aller Welt die heiligen Bücher studiert. Und in einem Raum linkerhand treffen sich seit 2007 die Liberalen des Egalitären Minyan mit seiner Rabbinerin Elisa Klapheck.
Horizonterweiterung
Herlich hat sie alle bei ihren Gottesdiensten und religiösen Übungen beobachtet und Momente der Demut, der Versenkung aber auch der überschwänglichen Freude festgehalten. Die Schönheit des Rituals spricht aus vielen seiner Fotos. Er zeigt dem Betrachter eine Welt, die der vermutlich noch nie mit eigenen Augen gesehen hat. Denn viele Deutsche kennen Juden nur aus der Literatur oder aus dem Fernsehen, die Schwelle einer Synagoge hat er noch nie überschritten.
Mit seinen Bildern betreibt Herlich damit im besten Sinne Horizonterweiterung. So wie die Jüdischen Kulturwochen, in deren Rahmen die Schau gezeigt wird, generell den Blick weiten für eine Religion und eine Kultur, die historisch eng mit diesem Land verknüpft sind, von denen aber viele kaum Genaues wissen. Kultur stellt im übrigen eine Paradedisziplin des Judentums dar, in keinem anderen Volk wird dem Buch und der Schrift ein derart hoher Stellenwert eingeräumt. Doch auch die Musik nimmt im jüdischen Kulturschaffen einen breiten Raum an. Eine ordentliche Synagoge muss einfach einen stimmgewaltigen Kantor besitzen. Noch ist die Westend-Synagoge nicht so weit, dass sie einen Star wie Shmuel Barzilai, Oberkantor in Wien, an sich binden kann. Immerhin hat sie diesen aber für das Eröffnungskonzert der Kulturwochen gewonnen. Herlich hat seinen hinreißenden Auftritt natürlich fotografiert.