https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/trauerarbeit-im-leere-wiege-kurs-in-frankfurt-14502820.html

Familiengesundheitszentrum : „Leere-Wiege-Kurs“

  • -Aktualisiert am

Was soll damit geschehen? Auch dieser Frage müssen sich die Eltern nach dem Tod eines Kindes stellen. Bild: Your Photo Today

Nicht jede Schwangerschaft endet immer auch im Babyglück. Gabriele Kemmler bietet Frauen, die ihr Kind verloren haben, Hilfe bei der Trauerarbeit an.

          4 Min.

          Eva Niemanns Tochter sollte jetzt ein halbes Jahr alt sein. Doch das Kind starb im siebten Monat im Bauch der Mutter. Einfach so. Niemand weiß, wie es zu dem Tod kam. Klar ist nur, dass die Schwangerschaft bis dahin ohne Komplikationen verlaufen war. Dann spürte Niemann, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ihr Kind nicht mehr und ging zum Arzt. Einen Tag später hatte sie einen Geburtstermin. Die Entbindung verlief gut, nur das Kind blieb stumm. Während Niemann im Mutterglück schwebte, wurde das tote Baby im Nebenraum aufgebahrt. „Es war eine schöne Geburt“, sagt Niemann heute.

          Was unglaublich klingt, ist vollkommen natürlich, sagt Gabriele Kemmler. Die 63 Jahre alte Sozialpädagogin und Geburtshelferin mit den grauen Locken gibt seit zwanzig Jahren Rückbildungskurse für Frauen, die ihr Kind während oder unmittelbar nach der Schwangerschaft verloren haben. Dass viele Mütter, die ein totes Baby auf die Welt bringen, trotzdem sagen, die Geburt sei schön gewesen, liegt an den Hormonen, die ausgeschüttet werden. „Das Oxytocin, das die Wehen macht, ist auch ein Liebeshormon. Viele Eltern haben schöne Gefühle während der Geburt, aber die werden dann irgendwann gekappt.“

          Bakterieller Infekt

          Um mit der Trauer, die unweigerlich folgt, umgehen zu können und sich mit Frauen auszutauschen, die Ähnliches erlebt haben, gibt Kemmler einmal in der Woche den „Leere-Wiege-Kurs“ im Familiengesundheitszentrum im Nordend. Anderthalb Stunden reden die Frauen dort über ihre Gefühle und Ängste. Danach gibt Kemmler eine Stunde Rückbildungsgymnastik. Kemmlers Engagement geht weit über den Kurs hinaus. Da sie die Einzige im Rhein-Main-Gebiet ist, die solche Kurse anbietet, kommen die Frauen oft von weither.

          Viele Kliniken und Beratungsstellen kennen Kemmlers Programm und leiten die Frauen an sie weiter. Anfang September erhielt sie für ihre Arbeit den Olympe-de-Gouges-Preis der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen Hessen-Süd. Die Sozialpädagogin und Geburtshelferin hat auch außerhalb ihrer Arbeitszeiten ein offenes Ohr für Eltern, die ihr Kind verloren haben.

          Aline Severijns wusste erst nicht, wie es weitergehen sollte. Doch mittlerweile kann die junge Frau mit den schulterlangen hellen Haare und den großen braunen Augen offen über den Tod ihres Kindes sprechen. Vor drei Jahren brachte die 31 Jahre alte Yogalehrerin und Musikerin Marieke auf die Welt. Die Schwangerschaft verlief ohne Komplikationen, das Kind war gesund. Anfang 2016, an einem Freitag um 15.03 Uhr wurde dann Severijns zweite Tochter Ella per Notkaiserschnitt geboren. Sie kam drei Monate zu früh auf die Welt. Elf Tage später starb sie an einem bakteriellen Infekt.

          „Teil aus dem Herzen gerissen“

          Mit Marieke zusammen fuhren Severijns und ihr Mann in die Klinik, um von Ella Abschied zu nehmen. „Wir hatten keine Zeit, uns zu überlegen, wie wir Marieke die Situation erklären.“ Manche Eltern entscheiden sich dagegen, ihren Kindern zu sagen, dass das Geschwisterchen tot ist. Severijns und ihr Mann wählten den anderen Weg. „Ich habe nicht darüber nachgedacht, ich habe einfach zu Marieke gesagt: ,Ella ist jetzt auf einem Stern, sie ist halt von oben deine Schwester.‘“

          Acht Wochen dauert der Rückbildungskurs bei Gabriele Kemmler. Bis zu zehn Teilnehmerinnen habe sie manchmal. „Das klingt viel, man muss dabei aber berücksichtigen, dass die Frauen aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet kommen“, sagt Kemmler. 545 von 100.000 Kindern wurden laut einem Gesundheitsbericht des Bundes im Jahr 2014 in Deutschland tot geboren oder starben innerhalb der ersten Woche nach der Geburt. Dabei nicht erfasst wurden die Kinder, die bei der Geburt weniger als 500 Gramm wogen.

          Weitere Themen

          „Ein letztes Buch ohne KI-Hilfe“

          Leif Randt : „Ein letztes Buch ohne KI-Hilfe“

          Er kann sich vorstellen, zusammen mit einem Computerprogramm zu schreiben: Fünf Fragen an Leif Randt, der in Bad Homburg den Hölderlin-Preis erhält.

          Topmeldungen

          Anknüpfen an 1989: Mit Donald Tusk marschierte am Sonntag der damalige Oppositionsführer und spätere Präsident Lech Walesa.

          Großprotest in Warschau : Tusks Marsch der „Hoffnung“

          Im Streit um die „Lex Tusk“ der PiS-Regierung mobilisiert Polens Opposition für eine Kundgebung in Warschau Hunderttausende. Die Zuversicht für einen Regierungswechsel im Herbst wächst.
          Energetische Sanierung in Rom

          Energiewende in Italien : Am Ende des Wärmepumpenbooms

          Nirgends sonst sind zuletzt so viele Wärmepumpen verkauft worden wie in Italien. Massive Staatsförderung ist der Grund. Doch jetzt ist der Markt tot.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.