Tierärztin im Zoo : Wenn dem Gorilla der Angstschweiß ausbricht
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Es tut auch gar nicht weh: Zwei Pfleger halten den gefangenen Flamingo fest, damit Nicole Schauerte sich um die Wunden an den Füßen kümmern kann. Bild: Cunitz, Sebastian
Es ist ein Beruf, von dem nicht nur Mädchen träumen: Tierärztin im Frankfurter Zoo. Zur Arbeit von Nicole Schauerte gehören aber auch traurige Momente.
Die Krallen eines Faultiers, in gelbes Gelee eingelegte Würmer aus einem Schildkrötenmagen, die Zähne von Schlangen und Orang-Utans. „Kuriositätenkabinett“ nennt Nicole Schauerte ihre Sammlung. Jedes der in Plastikdosen und Tüten verpackten Stücke hat seine Geschichte. „Diesen Brocken haben wir aus dem Bauch eines Warans geschnitten“, sagt die Neununddreißigjährige und hält einen handgroßen Stein in die Luft. Seit Sommer 2008 ist sie Tierärztin im Frankfurter Zoo. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Christina Geiger kümmert sie sich um die 500 verschiedenen Arten des Tiergartens.
Es war eine schwere Entscheidung, die Schauerte und Geiger am vergangenen Wochenende fällen mussten. Die vierzehnjährige Giraffenkuh Edita hatte ihren Nachwuchs nicht angenommen. Die Versuche, das Junge mit der Flasche zu füttern und es an die erfahrene Giraffenmutter Chira zu binden, schlugen fehl. Gemeinsam mit den Tierpflegern, Kuratoren und Zoodirektor Manfred Niekisch beschlossen sie, das Jungtier einzuschläfern. Die Giftspritze verabreichten die Tierärztinnen. Laut Niekisch gab es zu dem Schritt keine Alternative. „Sonst musst du dabei zusehen wie es verhungert“, sagt Schauerte. Trotzdem fühle auch sie natürlich mit.
„Wo gelebt wird, wird auch gestorben“
Aus dem Schrank mit den Betäubungsmitteln, Blasrohren und Pfeilspritzen muss sich Schauerte heute nicht bedienen - auch der doppelt verriegelte Waffen-Safe bleibt verschlossen. Die Tierpfleger haben sich bei der Ärztin gemeldet. Der Grund: Einer der Flamingos scheint verletzt zu sein und humpelt. „Wildtiere verbergen ihre Krankheiten oft lange“, sagt die Ärztin. In der freien Natur würden sie sonst riskieren, von ihrer Gruppe ausgestoßen zu werden und Fressfeinde anzuziehen. Ein humpelndes Tier könne deshalb viel schwerer verletzt sein, als auf den ersten Blick erkennbar. Was dem rosafarbenden Vogel wirklich fehlt, will sie bei einer Untersuchung im Gehege feststellen.
Zuletzt brach sich im November 2012 einer der Flamingos ein Bein. Da das Tier noch jung war, wagten die Zoo-Ärzte eine Operation. Sie trennten den Flamingo von seiner Gruppe, schienten das Bein und hängten den Vogel in einen Sack, um das Bein zu entlasten. Bis Januar kümmerten sie sich jeden Tag um das verletzte Tier, das jetzt wieder bei seinen Artgenossen steht. „Ein älterer Vogel hätte an dem Stress durch so eine Behandlung sterben können“, sagt Schauerte. „Zum Wohl des Tieres entscheiden wir uns dann manchmal dafür es einzuschläfern.“ Zu sehr zu Herzen nehmen dürfe man sich das aber nicht. „Wo gelebt wird, wird auch gestorben.“
Der natürliche Feind
Die Praxis der Ärztinnen liegt leicht außerhalb des Zoogeländes. Zu ihren Patienten in den zwölf Revieren des Tiergartens gelangt Schauerte meist mit dem Fahrrad - oder sie geht zu Fuß. „Die Medien vermitteln oft ein verzerrtes Bild von unserem Job“, sagt die Veterinärin. „Als würden wir den ganzen Tag mit dem Blasrohr rumlaufen und alles betäuben.“ Zur Arbeit eines Zootierarztes gehöre mehr als die Versorgung kranker Tiere. Man behandle nicht jeden Tag Patienten. Ein Hauptbestandteil sei es, dafür zu sorgen, dass die Tiere gar nicht erst erkranken - unter anderem mit Impfungen, Untersuchungen und Futterzusätzen, so Schauerte. Aber auch Büroarbeit, kurative Tätigkeiten oder die Forschung seien fester Bestandteil der täglichen Routine. „Narkosen sind immer ein Risiko für die Tiere“, sagt Schauerte. Deshalb versuche sie, Betäubungen zu vermeiden.
Vor dem Flamingogehege warten vier Tierpfleger auf die Ärztin. Sie müssen den Vogel mit der Hand fangen, bevor er untersucht werden kann. „Ich bin der natürliche Feind für die Tiere“, sagt Schauderte. Klügere Tiere würden sich an sie erinnern, nachdem sie ihnen eine Spritze mit dem Blasrohr „aufgeschossen“ habe - als Medikament oder zur Betäubung. Da könne es dann schon mal passieren, dass ein 200 Kilogramm schwerer Silberrücken bei ihrem Anblick in Angstschweiß ausbreche - oder ein Löwe wild gegen die Scheibe schlage. Ernsthaft attackiert wurde die Ärztin bisher nur von einem Tier: Seebärenbulle Otti hatte Angst vor Spritzen und biss ihr deshalb kräftig ins Knie.
Posten sind rar
Zu viert versuchen die Tierpfleger, den verletzten Flamingo von seiner Gruppe zu isolieren. Da der Vogel immer wieder entwischt, öffnen sie den Stall, in den die Tiere bereitwillig marschieren. Dort schnappt sich ein Pfleger den Patienten und trägt ihn zur Veterinärin nach draußen. Eine weitere Pflegerin hält seinen Schnabel. „Wir sind stark von den Tierpflegern abhängig“, sagt Schauerte. „Die kennen ihre Tiere am besten und informieren uns, wenn ihnen etwas auffällt.“
Wegen des kalten Winters und des langen Aufenthalts im Winterhaus sind die Füße des Tieres eingerissen. „Der bekommt jetzt ein Schmerzmittel gespritzt und eine Salbe“, sagt Schauerte. Schlimmeres habe der Vogel glücklicherweise nicht. Als der Pfleger ihn wieder freilässt, zögert er kurz und rennt dann - schon etwas weniger humpelnd - zurück zu seinen Artgenossen.
Seit etwa 50 Jahren ist das Berufsbild Tierarzt offiziell anerkannt. Die Posten für Veterinäre im Zoo sind rar. Nur knapp 80 Stellen gebe es in Deutschland, schätzt Schauerte, die glücklich ist, in ihrem Traumberuf arbeiten zu können. „Ich wollte schon als Kind Tierärztin werden“, sagt sie. Im Zoologischen Garten kann sie zudem viel Zeit im Freien und an wechselnden Orten verbringen. „24 Stunden in weißen Chirurgen-Klamotten wäre nicht so meins“, sagt sie schmunzelnd und steigt auf das Fahrrad. Sie will ihre Patienten nicht warten lassen: Als nächste kommen zwei Frösche aus dem Exotarium an die Reihe.