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Tanzstücke für Kleinkinder : Eine überaus freundliche Arbeit

Macht Tanzstücke für Kleinkinder: Célestine Hennermann, Regisseurin und Choreographin Bild: Wolfgang Eilmes

Célestine Hennermann feiert Erfolge in einem ungewöhnlichen Genre: Die Frankfurterin macht Tanzstücke für Kleinkinder. Ihr jüngstes ist jetzt im Cantate-Saal zu sehen.

          3 Min.

          Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Selten stimmt das, außer im Fußball, so sehr wie bei den Stücken von Célestine Hennermann. Ihr Publikum stürmt, kaum hat der Applaus angefangen, völlig ungeniert die Bühne, fängt an, die Requisiten umherzuschleppen, baut Türme aus ihnen oder zupft den Hauptdarsteller am Ärmel, um sich von ihm in den Kopfstand hieven zu lassen. In Hennermanns Stücken dauert das Betrachten und Bespielen der Bühne durch das Publikum meist genauso lange wie die Aufführung selbst. Oder so lange, wie das erwachsene Begleitpersonal Geduld hat. Denn das Publikum kann bisweilen noch gar nicht laufen - Hennermann konzipiert Tanzstücke für Babys und Kleinkinder von null Jahren.

          Eva-Maria Magel
          Leitende Kulturredakteurin Rhein-Main-Zeitung.

          Dass man den freimütigen Zugang des Publikums zu den künstlerischen Mitteln kanalisieren muss und sich bisweilen „in Szenen verliebt, die einfach nicht funktionieren“, hat Hennermann in den vergangenen fünf Jahren noch einmal neu gelernt. Als sie 2009 ihr erstes Tanzstück für Kinder im Alter von null bis vier Jahren choreographierte, war das Probepublikum mitten im Stück nicht mehr zu halten und jagte den niedlichen Blättern nach, die in „Ich sehe was, was du nicht siehst“ auf die Bühne gesegelt waren. Und als die erste Fassung von „Elephant Walk“ zwei Jahre später mit einer Kindergruppe getestet wurde, stellte sich heraus, dass das Spiel mit den bunten Eimern viel zu früh dazu einlud, selbst mitzutun.

          „Kill your darlings“

          Beide Szenen hat Hennermann daher, ohne zu zögern, gestrichen und umgearbeitet. Mit dem Motto „Kill your darlings“ sei sie stets gut gefahren, sagt sie. Die Frankfurterin, Jahrgang 1972, gehört zu den ersten Absolventen des Studiengangs Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Goethe-Universität, den Hans-Thies Lehmann geprägt hat. Ihr erster Arbeitgeber war William Forsythe, dessen Assistentin und spätere Dramaturgin sie war. In den letzten Zügen des Balletts Frankfurt kuratierte sie das Programm des TAT im Bockenheimer Depot. Jüngst hat sie an „Motion Bank“ mitgewirkt, dem Forschungsprojekt der Forsythe Company. Als freie Dramaturgin für Tanz und Performances hat Hennermann unter anderem für Hip-hop-Projekte wie E-Motion oder bei Helena Waldmann gearbeitet, bisweilen in Düsseldorf oder Berlin. In Frankfurt aber lebt sie mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern, von hier wollte sie, wie wohl alle Frankfurter, durchaus schon einmal weg und ist dann doch geblieben: „Es ist schön hier - und letztlich ist es egal, wo man arbeitet.“ Seit 2004 kreiert Hennermann mit dem Videokünstler Philip Bußmann unter dem Label 2+ eigene Projekte, immer wieder koproduziert vom Mousonturm. Dort wird im Juni auch „Remember My Name“ uraufgeführt, eine Performance über das künstlerische Scheitern.

          Mittlerweile aber verbinden viele ihren Namen mit den Kinderstücken. „Man rückt schnell in eine Ecke hinein“, sagt Hennermann, was bei ihr umso merkwürdiger ist, als sie, die ursprünglich Fachfremde, auch im Kindertheatermilieu noch lange nicht Fuß gefasst hat. „Ich kämpfe“, sagt sie offen. Sie ist in Deutschland eine Pionierin: Tanz, Baby-Publikum, das hat noch nicht so recht seinen Ort gefunden, obwohl Theater für die Allerjüngsten international im Trend liegt und der Tanz als ästhetische Erfahrung und als Bühnenerleben, das ohne Sprache auskommt, ein großes Potential bei den Jüngsten hat.

          „Elternschaft ist keine Legitimation für Kindertheater“, hatte ihr einst ein alter Hase des Genres gesagt. Das stimme zwar, sagt Hennermann, aber ohne ihre eigenen Kinder hätte sie wohl nie den nötigen Blick entwickelt. Die Idee wurde an sie herangetragen, als sie zum ersten Mal schwanger war: „Der Leiter des Tanzhauses NRW sagte zu mir, mach doch ein Stück für Babys. Ehrlich gesagt, war ich erst beleidigt“, sagt Hennermann mit dem für sie typischen strahlenden Lachen. Dann hat sie es ausprobiert, mit dem Gefühl, auch etwas für die eigenen Kinder zu tun, und weiß heute: „Es macht Spaß, man bekommt ja sonst nie so viel positives Feedback, von Kindern, Eltern, Erziehern. Es ist eine freundliche Arbeit. Es liegt mir, und ich habe eine tolle Truppe gefunden.“ Das sieht man auch ihrem jüngsten Stück „Minimax“ an, das sie nach „Elephant Walk“ zum zweiten Mal mit demselben Team realisiert hat. Der Hip-hopper Albi Gika und die Tänzerin Katharina Wiedenhofer stehen mit dem Musiker Gregor Praml auf der von Susanne Kessler und Petra Eichler gebauten Bühne.

          Eintritt soll niedrig bleiben

          Der Erfolg bestätigt Hennermann. Ihre stringent entwickelten und umgesetzten drei Stücke für die Allerjüngsten, mit Tanz von klassisch bis Hiphop, schlichten Requisiten und Livemusik, werden in ganz Deutschland gespielt, vor allem in Tanzhäusern, in Theatern, aber auch in Schulen, denn das Genre, so hat Hennermann herausgefunden, eigne sich auch gut für Schüler in Förderklassen. Geld verdient man damit allerdings nicht viel, denn auf Eintrittsbasis, wie bei vielen Veranstaltern üblich, könne sie nicht spielen, sagt Hennermann. Der Eintritt soll niedrig bleiben, damit möglichst alle Kinder Zugang zu den Stücken haben - Fördergelder sind also nicht nur für die Produktion, sondern auch für das Abspielen nötig, zumal wenn das Team einen kleinen Raum auf eine große Bühne baut. Denn es sei am schönsten, wenn die Kinder ein Theatererlebnis hätten: „Dann ist der Zauber größer“, sagt Hennermann.

          Ob sie neben ihrer Dramaturgentätigkeit weitermacht mit dem „Babytheater“, weiß sie noch nicht. Ein Tanzprojekt für Jugendliche, zum Beispiel mit Hiphop-Tänzern, würde sie reizen, im Straßentanz sieht sie ein großes Zukunftspotential. Sie selbst übrigens hat nie getanzt, auch nicht als Sport, ein kurzer Versuch mit Ballett im Teenageralter war alles. Dennoch oder vielleicht sogar gerade deshalb gelinge es ihr, sich mit den Tänzern über deren Arbeit zu verständigen. Und während die Tochter nun erste Tanzschritte wagt, erkundet Hennermann wohl demnächst auch ohne Tanz die Straßen: auf Rollschuhen.

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