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Tagung in Frankfurt : „Teenie-Dschihad“ als Akt der Emanzipation

Voll verschleiert: Eine Frau im Juni 2014 auf einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel in Offenbach. Bild: dpa

Immer mehr junge Frauen schließen sich dem IS an, in Hessen über ein Dutzend. Da dieses Phänomen nicht nur mit Repression zu bekämpfen ist, fand auf einer Tagung nun ein Austausch statt.

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          Duygo D. verschwand über Nacht. Am 21.März 2015 stieg sie in einen Fernbus Richtung Türkei. Als sie Tage später ihre Eltern anrief, um zu sagen, dass sie nicht wiederkomme, war sie schon in Syrien. An der Seite ihres Freundes, eines überzeugten Kämpfers des „Islamischen Staats“ (IS). Der Fall der jungen Frankfurterin ist einer der wenigen, die überhaupt öffentlich geworden sind. Dabei ist er einer von vielen. Seit etwa zwei Jahren beobachten die Sicherheitsbehörden, dass immer mehr junge Frauen sich dem IS anschließen und nach Syrien ausreisen. In Hessen sind es schon mehr als ein Dutzend.

          Katharina Iskandar
          Verantwortliche Redakteurin für das Ressort „Rhein-Main“ der Sonntagszeitung.

          Von vielen Mädchen heißt es, sie seien aus „romantischen Gefühlen“ ihren Freunden hinterhergereist, ohne zu wissen, dass sie dort oft als Prostituierte für IS-Kämpfer missbraucht würden. Andere jedoch reisen in die Kriegsgebiete, um sich dort an der Waffe ausbilden zu lassen. Die Sicherheitsbehörden sagen, gerade diese Nachwuchskriegerinnen seien unberechenbar.

          Spezielle Musik, Kleidung, Symbole

          Auch deshalb hat das hessische Landeskriminalamt (LKA) junge Mädchen aus der salafistischen Szene verstärkt im Blick. In der vergangenen Woche hat sich eine Tagung, die von LKA und Frankfurter Universität veranstaltet wurde, mit diesem Phänomen befasst. Es ging um die Rolle von Frauen im Islam generell, um Unterdrückung und patriarchalische Strukturen. Vor allem aber wurde gefragt, was ausgerechnet junge Frauen an der salafistischen Ideologie reizt.

          „Diese Mädchen sind nicht schwach“, sagt LKA-Präsidentin Sabine Thurau. Vielmehr sei der Weg in den Dschihad, den einige diese Frauen eigenständig anstrebten, „eine Form der Emanzipation“. Die Mädchen wollten sich gegenüber den Männern beweisen. Dabei sei es erschreckend, dass die jungen Frauen die menschenverachtende Ideologie des IS mittrügen und es offenbar als ihre Aufgabe sähen, „für den Nachwuchs künftiger Kämpfer zu sorgen“. Die Sicherheitsbehörden stehen nach den Worten Thuraus erst am Anfang, passende Strategien gegen den „Teenie-Dschihad“ zu finden.

          Susanne Schröter vom Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam bezeichnete den Salafismus als eine schnell wachsende Jugendbewegung. Es gebe spezielle Musik, Kleidung, Symbole. Viele Jugendliche, darunter eben auch viele Mädchen, fühlten sich zu dieser Ideologie hingezogen, „weil scheinbar etwas im Aufbruch ist“. Der IS sei wie eine Sekte, sagt Thomas Mücke vom Violence Prevention Network. Der Verein beschäftigt sich mit radikalisierten Jugendlichen. Gespräche mit Rückkehrern hätten gezeigt, dass viele traumatisiert aus den Kampfgebieten wiederkämen. Sie hätten nicht gewusst, welche Gräueltaten in Syrien verübt würden.

          Sicherheitsbehörden brauchen Austausch

          Nach den Worten der Frauenrechtlerin Seyran Ates fallen gerade Frauen im Islam immer wieder als radikal auf. So seien es oft die Mütter, die den Fundamentalismus ihrer Kinder förderten. Der Psychologe Jan Kizilhan hingegen lernt Frauen aus den Kriegsgebieten vor allem als Opfer kennen. Er behandelt Yezidinnen, die vom IS versklavt und zwangsverheiratet wurden. Die Frauen würden gehandelt „wie Ware“, sagt er. Die Geschichten, die ihm von den Betroffenen erzählt würden, brächten auch ihn „an den Rand dessen, was man überhaupt ertragen kann“.

          Die Sicherheitsbehörden brauchten den Austausch mit der Forschung, so Thurau. Militanter Islamismus könne nicht allein durch Repression bekämpft werden. Wenn die Polizei sinnvoll gegen die Radikalisierung durch Salafisten vorgehen wolle, müsse sie früher ansetzen. Es sei wichtig, mehr darüber erfahren, „was da eigentlich mit den jungen Menschen passiert“.

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