Stadtführung Tarek Al-Wazir : Der Reiz des Brutalismus
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Auferstanden aus Ruinen: Der Offenbacher Hafen gehört zu den begehrtesten Lagen im Rhein-Main-Gebiet. Bild: Rainer Wohlfahrt
Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ist im In- und Ausland viel unterwegs. Die Bindung zu seiner Geburtsstadt Offenbach bliebt davon unberührt. Eine Stadtführung.
Hier ist er zu Hause, es ist seine Stadt. Wer mit Tarek Al-Wazir durch Offenbach streift, spürt seine Zuneigung zu der Stadt mit dem vernarbten Antlitz sofort, in der er heute noch mit seiner Familie wohnt. Auch etwas Stolz auf das schwingt mit, was sich dort – einst auch mit seinem Zutun als Kommunalpolitiker der Grünen – in den vergangenen Jahrzehnten zum Besseren gewendet hat.
Und so beschreibt der längst als hessischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident des Landes etablierte Spitzenpolitiker, auch immer noch mit Verve, was sich der Architekt dabei gedacht hat, als er das Offenbacher Rathaus entworfen hat. Über die Motivation des Architekten grübelt wohl mancher Laie, der vor dem ziemlich grob an die Berliner Straße betonierten Klotz steht. Die kundige Erläuterung des Ministers bewahrt einen vor weiter gehenden Fehlurteilen, der Bau steht schließlich nicht grundlos unter Denkmalschutz.
Herausragendes Beispiel des Brutalismus
„Keine Schönheit auf den ersten Blick, um es einmal vorsichtig zu sagen“, führt Al-Wazir aus und ergänzt, dass der frühere Offenbacher Oberbürgermeister Gerhard Grandke (SPD), als das Rathaus tatsächlich als herausragendes Beispiel des Brutalismus unter Schutz gestellt wurde, ausgerufen habe, dass er es doch besser hätte anzünden sollen. Andererseits passt gerade dieser Stil ganz gut zu Offenbach, denn es ging dabei vor allem darum, offen und ehrlich zu zeigen, mit welchem Material gearbeitet wurde. Das war seit den Fünfzigern oft roher – französisch brut – Beton.
Es ging im Brutalismus auch darum, die gesellschaftliche und politische Funktion des jeweiligen Baus in den Vordergrund zu stellen. Und die, so führt Stadtführer Al-Wazir aus, sei beim Rathaus vor allem durch die herausragende Anordnung des Plenarsaales und dadurch symbolisiert, dass der rohe Bau von zwei Portalen aus von jedem betreten werden kann, der zu den Ämtern will.
1993 zum ersten Mal in das Stadtparlament gewählt
„Es hört sich sicher ein bisschen verrückt an, aber wenn ich hier drin bin, fühle ich mich irgendwie daheim“, sagt Al-Wazir im Innern des Baus vor den Betonwänden, an denen die Struktur der Holzverschalung sichtbar geblieben ist. Keine bloße Nettigkeit eines Politikprofis. Immerhin ist Al-Wazir dort vor 25 Jahren bei der Kommunalwahl 1993 zum ersten Mal in das Stadtparlament gewählt worden und hat hier dabei mitgewirkt, grüne Politik weiter gesellschafts- und regierungsfähig zu machen.

Ein zentrales kommunalpolitisches Ziel der Grünen in Offenbach war es, das wieder zugunsten von Fußgängern und Radfahrern zu heilen, was zuvor entstanden war unter dem Vorsatz, eine autogerechte Stadt zu schaffen, wie Al-Wazir sagt. Diesem aus grüner Sicht dubiosen Ziel verdanke Offenbach auch die zahlreichen Parkhäuser und nicht zuletzt den Ausbau der Berliner Straße auf vier Spuren, was inzwischen aber wieder revidiert wurde. Nicht mehr zurückzuholen sind dagegen die Teile der Altstadt, die die erhebliche Zerstörung Offenbachs im Krieg zwar noch überstanden hatten, nicht aber den Erneuerungswillen der Nachkriegsstadtplaner, wie Al-Wazir berichtet.
Erholungsraum für alle Offenbacher
Nicht weit weg vom Rathaus weist er auf ein spektakuläres Beispiel für die große finanzielle Not seiner Geburtsstadt hin: Der originelle ovale Bau mit gläserner Front war nicht immer das Foyer des Sheraton-Hotels am Büsing-Palast. Es handelt sich um die Überreste des 1961 erbauten Hallenbades, kurz Parkbad genannt. Es ist der dramatischen finanziellen Schieflage Offenbachs und den daraus folgenden Sparbeschlüssen Anfang der neunziger Jahre zum Opfer gefallen, zusammen mit dem Tambourbad und dem Stadtbad.
Gleich dahinter aber kann der Minister ein gelungenes Offenbacher Projekt präsentieren: den Büsingpark selbst. Früher eine No-Go-Area für Normalbürger, ist es dort durch eine auf freie Sicht angelegte Umgestaltung und durch massive polizeiliche Kontrollen gelungen, das Areal wieder als Erholungsraum für alle Offenbacher zu erschließen. Wobei es Al-Wazir auch nicht versäumt, auf das Schild „Regina-Jonas-Weg“ hinzuweisen, das an die erste Rabbinerin des Judentums überhaupt erinnert, die 1935 in Offenbach ordiniert wurde. 1944 wurde sie im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.