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Kritik am Vatikan : Wie ein Schuss in den Rücken aus den eigenen Reihen

Aus Sicht des Vatikan zu liberal: Ansgar Wucherpfennig. Bild: F.A.Z.

Nachdem der Vatikan eine weitere Amtszeit des Rektors der Hochschule Sankt Georgen verhindert hat, herrscht Unruhe auf dem Campus. Die Unterstützer des Jesuitenpaters, der sich für Homosexuelle eingesetzt hat, laufen Sturm gegen die Entscheidung.

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          Ein Team des ZDF war schon da, hat Kameras aufgebaut und viele Fragen gestellt. Werner Otto musste sich bemühen, sie alle zu beantworten. Denn der Sachverhalt, dessentwegen der Stadtjugendpfarrer seinen Urlaub unterbrechen musste, macht ihn eigentlich nur sprachlos. Otto ist einer der elf Pfarrer, die sich mit einer Erklärung hinter Ansgar Wucherpfennig gestellt haben. Bis zum ersten Oktober war dieser noch Rektor der Hochschule Sankt Georgen.

          Marie Lisa Kehler
          Stellvertretende Ressortleiterin des Regionalteils der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

          Wie am Wochenende bekannt wurde, hat jedoch der Vatikan Wucherpfennig das „Nihil obstat“, die sogenannte Unbedenklichkeitserklärung, verweigert. Grund hierfür sind nach Angaben der Vatikan-Behörden Äußerungen des Jesuitenpaters zum Umgang der Kirche mit Homosexualität und zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Stein des Anstoßes ist ein Interview aus dem Jahr 2016, erschienen in der „Frankfurter Neuen Presse“. Wucherpfennig wurde bereits im Juni aufgefordert, eine öffentliche Richtigstellung zu verfassen. Der langjährige Rektor der Hochschule Sankt Georgen schickte stattdessen eine ausformulierte Stellungnahme, in der er seine Gedanken präzisierte, sie aber nicht entkräftete. Das Verfahren ist seither in der Schwebe.

          „Wir sind hier nicht auf Krawall aus“

          „Wenn man meint, Christen würden Entscheidungen aus Rom kopfnickend und stillschweigend hinnehmen, hat man sich die falsche Stadt ausgesucht. In der Stadtgesellschaft sind wir einen offenen und kritischen Dialog gewöhnt“, macht Otto deutlich. Denn in Frankfurt und im Bistum Limburg werde schon lange und „mit ausdrücklicher“ Billigung des Bischofs über die Frage diskutiert, ob auch homosexuellen Paaren der Segen Gottes erteilt werden sollte.

          „Wir sind hier nicht auf Krawall aus. Aber das ist für die Kirche eine Zukunftsfrage“, sagt Otto. „Wenn wir als Kirche ernst genommen werden wollen, dann muss offen und angstfrei über alles geredet werden dürfen“ – genauso, wie es der Papst immer wieder einfordere. Die Pfarrer aller katholischen Stadtpfarreien haben in der gemeinsamen Erklärung unmissverständliche Worte gewählt. Man sei „fassungslos“ über den Beschluss, heißt es in dem Brief. „Im Vatikan meint man offenbar immer noch, missliebige Positionen aus der Welt schaffen zu können, indem man diejenigen mit Sanktionen belegt, die sie äußern.“ Der Stadtjugendpfarrer zeigt sich ernüchtert. „Besonders junge Gläubige haben die Kirche doch schon abgehakt. Wenn da neues Vertrauen entstehen soll, muss die Kirche ihren Stil ändern, wie sie mit den Menschen umgeht.“ Die Tatsache, dass die Unbedenklichkeitserklärung wegen eines einzigen Interviews in einer Frankfurter Lokalzeitung nicht erteilt wurde, macht Otto stutzig. „Dieser Zeitungsausschnitt muss ja irgendwie nach Rom gekommen sein.“

          Keine offene Kritik wegen liberaler Haltung

          Die Vermutung: es wurde hinterrücks etwas nachgeholfen. Ein Vorgang, der Wucherpfenning nicht fremd sein dürfte. In einem Gespräch mit dieser Zeitung sagte er 2017, dass er nie offen wegen seiner liberalen Haltung gegenüber homosexuellen Gläubigen kritisiert worden sei. Stattdessen sei hinter vorgehaltener Hand getuschelt worden. „Das war wie ein Schuss in den Rücken“, so Wucherpfennig.

          Der Schütze bleibt auch diesmal im Verborgenen. Gegenfeuer gibt es trotzdem. Etwa von Studierenden der Hochschule. Sie haben einen Brief veröffentlicht, den bis gestern knapp 100 Studenten, Ehemalige und Mitarbeiter unterzeichnet haben. In dem fordern sie, Wucherpfennig wieder als Rektor einzusetzen. „Die gegenwärtige Krise der katholischen Kirche ist eine Krise des Vertrauens“, heißt es in dem Schreiben. „Es ist aus unserer Sicht nicht hilfreich, einen Diskurs mit Machtmitteln zu unterbinden.“ Claudius Dechamps vom Freundeskreis Sankt Georgen hat die Entscheidung aus Rom ebenfalls mit Enttäuschung aufgenommen. „Wenn man an Vernunft glaubt, ist mir nicht begreiflich, wie dieser Papst das so entscheiden konnte“, sagte er und fragt: Kann Papst Franziskus diese Entscheidung wirklich wissentlich getroffen haben? So recht glauben will Dechamps das nicht. „Vielleicht wurde das Schreiben zwischen all die Anträge für neue Waschmaschinen geschoben.“

          Die jetzige Aussage des Vatikans bedeutet, dass Wucherpfennig bisher weder diese Unbedenklichkeitserklärung zugesprochen wurde, noch dass ein Veto gegen ihn eingelegt wurde.

          Sollte der Vatikan ein negatives Urteil fällen, müsste Wucherpfennig seinen Posten als Rektor endgültig räumen. Der Pater hat seit 2008 den Lehrstuhl für Exegese des Neuen Testaments in Sankt Georgen inne, 2014 wurde er Rektor der Hochschule. Derzeit leitet Wucherpfennigs Stellvertreter die Hochschule kommissarisch.

          Vielleicht eine Geste der Macht

          In dem 20 Fragen umfassenden Interview der „Frankfurter Neuen Presse“, das als Auslöser der Debatte gilt, geht es in einer einzigen Frage um die Haltung der katholischen Kirche gegenüber homosexuellen Gläubigen. Angesprochen wurde auch die Äußerung Wucherpfennigs, er habe schon homosexuelle Paare außerhalb öffentlicher Gottesdienste gesegnet. Diesen Satz hatte Wucherpfennig in einem Gespräch mit dieser Zeitung im Dezember 2015 gesagt. Seine Antwort auf die darauf bezogene Interviewfrage der „Neuen Presse“ lautete: „Mein Eindruck ist, dass das tiefsitzende, zum Teil missverständlich formulierte Stellen in der Bibel sind. Beispielsweise bei Paulus im Römerbrief. Homosexuelle Beziehungen in der Antike waren starke Abhängigkeits- und Unterwürfigkeitsverhältnisse. Liebe sollte eine egalitäre, freie Beziehung sein, keine mit Gefälle. Das wollte Paulus eigentlich sagen, so meine These.“ Wucherpfennig wurde im Juni von der im Vatikan zuständigen Bildungskongregation gebeten, diese pointierte These zu widerrufen. Er tat es nicht. Stattdessen antwortete er mit einem Schreiben, in dem er seine Sichtweise klarstellte, aber weiter hinter seinen Äußerungen stand. Dem Schreiben war eine Stellungnahme des Jesuiten-Provinzials Johannes Siebner beigefügt. Auf eine Antwort aus Rom warte man seither vergebens, sagte Siebner in einem aktuellen Interview, das auf der Internetseite katholisch.de zu finden ist. Zudem sei Wucherpfennig sofort mit der Forderung konfrontiert worden, die Aussagen öffentlich klarzustellen, statt seine Sichtweise erklären zu dürfen. Siebner kritisiert dieses Vorgehen. Die Interviewpassage habe eineinhalb Jahre im Vatikan gelegen, „bis es passend schien, den Text rauszuholen“. Siebners Vermutung lautet deshalb: „Es geht also vielleicht gar nicht um die Sache, sondern um einen Machtgestus.“ Der Provinzial stellt sich vor seinen Jesuitenbruder: „An seinem ,sentire cum ecclesia‘, seiner Kirchlichkeit, gibt es nicht den Hauch eines Zweifels. Vor allem: Er ist ein feiner Kerl.“ Ansgar Wucherpfennig wurde zwar die Unbedenklichkeitserklärung als Rektor verweigert, seine Lehrtätigkeit betrifft das aber nicht. Er unterrichtet weiter an der Philosophisch-Theologischen Hochschule. (mali.)

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