Schüler mit Einschränkungen : Lockdown ohne Whatsapp
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Beispiel eines inklusiven Unterrichts vor der Corona-Pandemie (Symbolbild). Bild: dpa
Kinder mit Förderbedarf hatten es in der Pandemie an den Schulen besonders schwer. Ein Bündnis aus der Rhein-Main Region fordert einen Ausgleich für sie.
Emile und Eva haben die Corona-Zeit anders erlebt als andere Fünfzehnjährige. Bis vor der Pandemie hatte sich Eva in der Schule immer ganz wohl gefühlt. Auch ohne „dicke, beste Freundin“, wie ihre Mutter Christine Bauknecht sagt. Aber die Mitschüler seien jeden Tag da gewesen, auch wenn der Kontakt mit den Jahren loser geworden sei. Weil „in der Pubertät alle sein wollen wie die anderen auch“ und Eva das Downsyndrom hat. Als der Lockdown kam, trafen bei der Schülerin einer Frankfurter Integrierten Gesamtschule keine Whatsapp-Nachrichten ein, und sie konnte den anderen auch keine schicken. Sie hatte die Handynummern nicht.
Émile war einer der wenigen in seiner Förderschule für Kinder mit körperlichen und motorischen Einschränkungen, die auch im Lockdown Unterricht bekamen. „Guten Online-Unterricht“ sogar, wie seine Mutter Janet Sabri berichtet. Aber neun von zehn Schülern der Frankfurter Förderschule seien auch geistig eingeschränkt. „Von einem Tag auf den anderen war das gewohnte Umfeld weg. Sie konnten das nicht verstehen.“ Ganz schlimm sei die Stimme des Lehrers am Telefon gewesen. Das Gefühl, dass es die Schule noch irgendwo gab. Aber wo?
Probleme beim Digitalen-Lernen
Die Pandemie war für viele Familien eine Belastung. Für solche mit behinderten Kindern war sie ungleich anstrengender. Das lag nicht nur am mangelnden Sozialkontakt. Janet Sabris Sohn sitzt im Rollstuhl, ist Bluter und blind. Eltern wie sie versorgten ihre schwerbehinderten Kinder nun rund um die Uhr selbst, lagerten 50, 60 Kilo schwere Jugendliche. Auch der Einschnitt beim Lernen war oft tiefer. Während sich andere Familien über das Homeschooling stritten, kam das Arbeiten am Tablet für viele Kinder mit Förderbedarf kaum infrage. „Digital einem Lehrer zuzuhören klappte nicht“, sagt Evas Mutter. „Das ist einfach nicht ihr Medium, um etwas zu lernen.“
Merve Sesen hat im Lockdown mit vielen Eltern gesprochen. An die Unabhängige Inklusionsberatungsstelle des Vereins Gemeinsam leben im Frankfurter Nordend wandten sich zum Beispiel solche, deren Kinder kommentarlos Wochenpläne von 60 Seiten bekommen hatten. Die sollten sie wie alle aus der Klasse bis zum Freitag bearbeiten. Normalerweise hätten die Förderlehrer das Programm gemeinsam mit dem Klassenlehrer für die Inklusionskinder angepasst. Die Förderlehrer kommen vom Beratungs- und Förderzentrum in die allgemeinen Schulen.
„In der Pandemie aufgeblüht“
„Sie fliegen als Experten ein“, kritisiert Birgit Koch. Der Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen missfällt das „Doppelsystem“ aus Inklusion und Förderschulen, das sich Deutschland als eines der wenigen Länder leiste. Koch verlangt „viel mehr individuelle Förderung“, am liebsten für jedes Kind, mindestens aber für jenes Fünftel, das im Lockdown abgetaucht sei. Kinder mit Förderbedarf brauchten kurzfristig individuelle Hilfe direkt im Klassenverband. Dafür fordert die Gewerkschaft Personal, kleine Gruppen, multiprofessionelle Teams mit Lehrern, Sonderpädagogen, Therapeuten.