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Energiewende : Schreckenstage für die Freunde der Windkraft

So schön kann Stromerzeugung sein: Windrad nahe Bad Vilbel bei Nacht Bild: dpa

Wenn es nach dem Bundeswirtschaftsministerium geht, wird der Ausbau der Windenergie in Hessen erliegen. Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir müsste sein nächstes politisches Ziel begraben.

          3 Min.

          Dass Regieren nicht so einfach ist wie Opposition, musste Tarek Al-Wazir (Die Grünen) schon öfter erfahren. Beim Frankfurter Flughafen kann sich der Grünen-Politiker zwar damit schmücken, dass immer seltener Ausnahmegenehmigungen für Flüge in Zeiten der Nachtruhe erteilt werden. Aber das große Ziel seiner Partei, den Bau des dritten Terminals zu verhindern, hat er nicht erreicht. Am 5.Oktober begannen die Bauarbeiten für das Millionenprojekt – mit einem Festakt, auf dem der hessische Wirtschaftsminister nicht gesehen ward.

          Manfred Köhler
          Ressortleiter der Rhein-Main-Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

          Nun droht Al-Wazir auch auf einem Lieblings-Politikfeld zu scheitern, dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis zum Ende der Legislaturperiode solle der Anteil der erneuerbaren Energien in Hessen am Stromverbrauch verdoppelt werden, so heißt es in der Koalitionsvereinbarung von CDU und Grünen. Und der für Energiepolitik zuständige Minister war bald nach seinem Amtsantritt so freundlich, dafür selbst die einzelnen Schritte zu benennen: In jedem Jahr müssten Windräder mit einer Leistung von 380 Megawatt hinzukommen, um dieses Ziel zu erreichen, rechnete er vor.

          Dem Bund geht die Energiewende inzwischen zu schnell

          Zwar hat sich der Ausbau der Windenergie in den vergangenen Jahren etwas beschleunigt. Aber die Messlatte, die der Minister selbst so hoch gehängt hatte, wurde bisher noch in jedem Jahr gerissen, in dem er für Energiepolitik verantwortlich zeichnet. 2015 etwa kamen gerade einmal 75 Anlagen mit 208 Megawatt Leistung hinzu.

          Nun aber könnte der ehrgeizige Ausbauplan endgültig kippen. Und nicht etwa böse Atomkonzerne sind daran schuld, sondern der Bundesvorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, in seiner Eigenschaft als Bundeswirtschaftsminister. Denn der Bundesregierung geht die Energiewende inzwischen zu schnell, sie fürchtet immer weiter steigende Kosten. Und so hat das von Gabriel geführte Haus vorgeschlagen, den Neubau von Windrädern zu beschränken. Dabei im Visier: Schleswig-Holstein, Niedersachsen und weite Teile Hessens.

          In diesen Regionen soll der Ausbau um die Hälfte gekürzt werden. Das Argument: Es fehle an Leitungen, um zusätzlichen Strom, den neue Windräder erzeugen würden, in den Süden zu transportieren. So bestehe die Gefahr, dass die zusätzlichen Windräder zeitweise gar keinen Strom produzieren könnten.

          Al-Wazir findet Pläne des Bundes „aberwitzig“

          Ginge es in der Energiepolitik zu wie auf normalen Märkten, ließe sich als Außenstehender sagen: Pech für denjenigen, der die Windräder aufgestellt hat. In der komplizierten Logik der Energiewende aber werden die Einnahmeausfälle bei sogenannten abgeregelten Windrädern von allen Stromkunden gemeinsam getragen. Kein Wunder also, dass die Bundesregierung den Ausbau bremst und die beiden norddeutschen Bundesländer wie Teile Hessens als „Netzengpassgebiete“ ausweisen will, wie es im Jargon heißt.

          Es sind also schreckliche Tage für Freunde der Windkraft in Hessen. Al-Wazir verfasste sogar am Feiertag eine geharnischte Stellungnahme zu den Berliner Plänen, die er als „aberwitzig“ bezeichnete. Seine berechtigte Sorge: Wenn Hessen zum „Netzengpassgebiet“ würde, käme der Ausbau der Windkraft zum Erliegen.

          Immerhin hat der Minister einige Argumente auf seiner Seite. So kann er darauf verweisen, dass es jedenfalls bisher kaum vorgekommen ist, dass Windräder in Hessen abgeregelt werden mussten. Im dritten Quartal des vergangenen Jahres, so rechnet sein Haus vor, entfielen 59 Prozent der in solchen Fällen gewährten Entschädigungszahlungen an die Eigentümer der Windräder auf Schleswig-Holstein und 18 Prozent auf Brandenburg, hingegen gerade einmal 0,3 Prozent auf Hessen.

          „Nur weil Hessen in der Mitte Deutschlands liegt“

          Das hängt aber natürlich auch damit zusammen, dass im Norden weitaus mehr Windräder stehen. Die Statistik zeigt aber auch, dass es tatsächlich um ernsthafte Beträge geht, die dem Bundeswirtschaftsministerium Sorge bereiten: Allein in diesem einen Quartal flossen den Windrad-betreibern in ganz Deutschland 82,8 Millionen Euro zu, weil sie Strom hätten erzeugen können, der aber gerade nicht gebraucht wurde.

          „Es ist absolut unwahrscheinlich, dass auch bei einem weiteren Ausbau Windenergieanlagen in Hessen in nennenswertem Umfang abgeregelt werden müssen“, schreibt Al-Wazir weiter. Nach Prognosen der Netzbetreiber werde sich das auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Wenn es überhaupt zu Schwierigkeiten mit den Netzen in Hessen komme, so liege das am Ausbau der Windkraft im Norden. „Es darf nicht sein, dass der Ausbau der Windenergie in Hessen zum Erliegen kommt, nur weil Hessen in der Mitte Deutschlands liegt und daher die Übertragungsnetze durch Hessen führen.“

          Al-Wazir bleibt noch etwas Zeit zur Rettung seiner Politik

          Der Grünen-Politiker rät daher zu einem Ausbaudeckel für Norddeutschland, was aus seiner Sicht auch ein anderes Problem lösen würde: Künftig soll nicht mehr jeder einfach so ein Windrad aufstellen und auf festgelegte Subventionen hoffen können. Stattdessen soll es Ausschreibungen geben, um die Förderung zu begrenzen. Weil im Norden der Wind stärker weht, ein Windrad also mehr Strom produzieren kann, wären die Zuschüsse dort niedriger als in Hessen, wo man bei diesem Verfahren das Nachsehen hätte.

          Noch hat Al-Wazir einige Tage Zeit, seine Energiepolitik zu retten. Das Thema steht am Dienstag auf der Tagesordnung eines Treffens der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Gestern meldete die Nachrichtenagentur Reuters zwar, der Bund komme den Ländern beim Thema Windkraft in einigen Punkten entgegen. Davon, dass das auch im Fall der „Netzengpassgebiete“ so sein soll, war in dem Bericht allerdings nicht die Rede.

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