Wildkatze : Mehr scheue Waldbewohner
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Sie lebt zurückgezogen vor allem in urwüchsigen Forsten: Wildkatze Bild: dpa
Wildkatzen vermehren sich am Edersee - und andernorts. Nach einer Studie der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung sind sie weiter verbreitet als gedacht.
Auf leisen Pfoten ist die Wildkatze nach Hessen zurückgekehrt. Die Nationalparkverwaltung Kellerwald-Edersee und das Forstamt Frankenberg dokumentieren die Ausbreitung der Katzen in einem Monitoring, das der Forschungsleiter im hessischen Nationalparkamt, Achim Frede, als das „intensivste Wildkatzenprojekt in deutschen Mittelgebirgen“ bezeichnet.
Die Wildkatze ist eine Europäerin. Aber kaum jemand bekommt sie zu Gesicht, sie ist eine scheue Waldbewohnerin und zählt zu den seltensten Säugetierarten Deutschlands. Sie ist etwa so groß wie unsere Hauskatze, die soll aber von der afrikanischen Wildkatze abstammen. Die heimische Wildkatze hat im Gegensatz zur Hauskatze ein voluminöseres Fell, und ihre Zeichnung erscheint verwaschener. Ihr Schwanz ist dicker und hat eine imposante Endquaste. Die Nase der Wildkatze ist fleischfarben, ihre Schädelform kindlich-flach, und ihre Barthaare sind lang. „Sie sieht halt wilder aus“, sagen Fachleute.
Brauerei als Sponsor
Seit 1934 steht das Tier unter Schutz, was aber nicht verhinderte, dass das angeblich letzte Exemplar aus dem Raum Edersee 1955 erlegt wurde und als Exponat die Sammlung des Senckenbergmuseums in Frankfurt bereichert.
Trotz des Verschwindens der Wildkatze blieb die Mutmaßung zurück, dass es in Mitteldeutschland - Harz, Thüringen, im Osten Hessens, Pfälzer Wald, Eifel und Rothaargebirge - je ein Refugium für die Tiere gegeben haben könnte. Aber noch im Winter 1999/2000 blieben Versuche, die Wildkatze am Edersee nachzuweisen, ohne Erfolg.
Doch der Bund für Umwelt- und Naturschutz, der hessische Nationalpark und die Licher Brauerei als Sponsor suchten weiter. 2006 entstand ein Förderverein, um dem Raubtier auf die Spur zu kommen. Das half. Schon im Winter darauf gelang der erste sichere Wildkatzennachweis seit einem halben Jahrhundert. Die Lockstock-Methode hatte zum Erfolg geführt.
Baldriantinktur als Lockstoff
Jürgen Bachmann, Revierförster von Louisendorf bei Frankenberg, zeigt, wie es geht. In der Nähe eines trockenen Pfads - die Katze meidet nassen Untergrund - schaut ein Stück Dachlatte einen halben Meter aus dem Boden heraus. Das Ende ist eingekerbt und mit stark riechender Baldriantinktur beträufelt. Die Katzen mögen den Geruch während der Ranz, ihrer Paarungszeit, vom Ende des Winters bis in den Juni. Angezogen vom dem erregenden Geruch gehen die Katzen zum Stock, um sich Kopf und Nacken daran zu reiben. Dabei bleiben ein paar Haare samt Haarwurzel hängen, die vom Forschungsinstitut Senckenberg genetisch analysiert werden. Die haarige Ernte von etwa 80 Köderstöcken, die auf 7000 Hektar im Nationalpark und westlich davon im Wald stecken, ermöglichte den Nachweis von 21 Wildkatzen, darunter ein Dutzend Kuder, das sind die Kater, und neun weibliche Tiere. Frede schätzt, dass im Nationalpark 30 Tiere leben und 50 bis 100 in und um den Park.
Da die Proben die Identifikation einzelner Tiere zulassen, lassen sich die Lebensläufe und -wege der Tiere nachzeichnen. Kater A lebt vor allem im Osten des Untersuchungsraums, dürfte zehn Jahre alt sein und hat, wie auf einem Foto zu erkennen ist, vermutlich eine Augenverletzung. Dank seines guten Gehörs findet er wohl dennoch genug Mäuse. Die Fachleute sprechen von einem dominanten Tier.
Kater Q hingegen kam von Westen ins Untersuchungsgebiet, überquerte die Eder - vermutlich über eine Brücke - und auch eine Bundesstraße, ohne zu Tode zu kommen, was Glück erfordert. Bis jetzt haben acht Wildkatzen den Seitenwechsel nachweislich nicht überlebt. Werden sie gefunden, dienen die Kadaver als Quell einer Haarprobe. Die Forscher nehmen gerne Proben - am liebsten die Ohrspitze - in einer geeigneten Plastiktüte entgegen.
Die Verwandtschaft unter den Tieren und damit die Zuneigung zwischen Kuder und Katze im Einzelfall zu untersuchen gelang bisher wegen der Kosten der tiefergehenden Genanalyse nicht. Aber es zeigt sich, dass die Wildkatze große, zusammenhängende Waldgebiete benötigt, um sich auszubreiten. „Sie laufen nicht gern über freies Feld“, sagt Frede.
Vielleicht schließt die neue Katzenvielfalt am Edersee eines Tages die Lücke zwischen den Populationen im Westen und in der Mitte Deutschlands und sorgt damit für eine genetische Auffrischung in Ost und West, wie Jutta Seuring hofft. Für die stellvertretende Leiterin des Nationalparks ist die Wildkatze eine Sympathieträgerin und damit auch ein Lehrstück im Bildungsangebot des Parks, das sich an Familien, Kindergärten, Schulklassen, aber auch an Gehörlose und an alle Baldrianschnüffler richtet.
Verbreiteter als gedacht
Wildkatzen sind in Deutschland einer Studie der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung zufolge weiter verbreitet als bislang angenommen. Im Hauptverbreitungsgebiet der scheuen Tiere (Felis silvestris) von Nordbayern über Hessen bis Südniedersachsen sowie von Eifel, Hunsrück und Pfälzerwald im Westen und Thüringer Wald im Osten gebe es kaum noch größere Waldgebiete ohne sie, teilte die Gesellschaft am Dienstag in Frankfurt mit.
Die Tiere lebten auch dauerhaft in Gebieten, in denen das vor zehn Jahren noch nicht vermutet worden sei - etwa im Westerwald, dem nordhessischen Kellerwald und der Rhön. Als neue Verbreitungsgebiete seien in der Studie der Kottenforst bei Bonn und der Arnsberger Wald in Nordrhein-Westfalen hinzugekommen. Nichtsdestotrotz sei die Wildkatze aber mit 5000 bis 10 000 Tieren eine seltene Art.
Ausgewertet wurden mehr als 6000 DNA-Proben. Darunter seien 2220 Wildkatzen-Individuen gewesen, nur rund 300 Hauskatzen und 86 Mischlinge. Die Proben waren zwischen 2007 und 2013 in allen größeren zusammenhängenden Waldgebieten vor allem an mit Baldrian eingeriebenen Lockstöcken gesammelt worden. Das zieht Wildkatzen an, sie reiben sich daran und hinterlassen so Haare für genetische Analysen. Weitere Proben stammten von überfahrenen Tieren. (dpa)