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Geflüchtete Künstler : Die verlorene Heimat als Thema

Die Ausstellung „Curriculum Vitae - Intellektuelle Freihandelszone“ im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden stellt Künstler vor, die Flucht und Vertreibung hinter sich haben.

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          Sara Nabil zum Beispiel. Eine junge Frau von gerade einmal 21 Jahren, die schon mit 14 in Kabul mit ihrem Kunststudium begann und seit einem Jahr in Wiesbaden lebt. Ibrahim Alawad, der in seiner syrischen Heimat ein bekannter Bildhauer gewesen ist und dessen Skulpturen der „Islamische Staat“ sukzessive zerstört und aus dem öffentlichen Raum entfernt. Oder Aeham Ahmad, ein Pianist, der mittlerweile so etwas wie eine Berühmtheit geworden ist. Drei Künstler, drei Schicksale. Und drei Geschichten von mittlerweile acht Malern, Bildhauern, Musikern und Videokünstlern, die im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden nun eine in jeder Hinsicht höchst bemerkenswerte Ausstellung bestreiten.

          Christoph Schütte
          Freier Autor in der Rhein-Main-Zeitung.

          Dabei hatten Kunstvereinsleiterin Elke Gruhn und ihr Team im Grunde keinen Schimmer, was aus ihrer Idee werden würde. Und ob überhaupt sich jemand auf ihren schlicht „KünstlerInnen!“ überschriebenen und in fünf Sprachen verbreiteten Aufruf melden würde. Am Anfang waren es dann gerade einmal zwei junge Flüchtlinge, die im vergangenen Dezember in die Räume in der Wilhelmstraße gekommen sind, um die Ausstellungsräume vier Wochen lang als Atelier zu nutzen.

          Kunst von in Deutschland gestrandeten Migranten

          „Wir hatten das Gefühl, dass man helfen muss“, sagt Gruhn im Hinblick auf die vielen auch nach Wiesbaden gekommenen Flüchtlinge etwa aus Syrien. „Wir haben überlegt, was können wir da als Kunstverein machen? Was brauchen die?“ Ateliers etwa, Pinsel, Farben, Leinwand, kurzum, die Möglichkeit zu arbeiten. Eine Perspektive. Und mithin mehr als eine warme Suppe. Schließlich, so Gruhn, „reden wir doch von Integration“.

          Das mag man zunächst und im durchaus besten Sinn pragmatisch nennen. Was daraus entstanden ist, aber geht weit über eine Soforthilfe hinaus. War doch das Atelierprojekt nur der Auftakt. Eine Chance auch, sich zu zeigen. Nicht nur hat sich daraus die „Curriculum Vitae (C.V)/Intellektuelle Freihandelszone“ überschriebene Ausstellung entwickelt, die den meist mittellos in Deutschland gestrandeten Migranten eine Möglichkeit eröffnet, sich und ihre Kunst überhaupt einem Publikum vorzustellen. Mit Arbeiten, die, wie die Zeichnungen des palästinensischen, in einem syrischen Flüchtlingslager geborenen Künstlers Mohammad Alsaadi oder die Acrylbilder Emad Korkis’, immer wieder Flucht und Vertreibung, wie Zohra Noori die verlorene Heimat auch zum Thema haben.

          Manche kommen um Klavier zu spielen

          Oder, wie Sara Nabils raumfüllende Installation, den Alltag in der Wiesbadener Flüchtlingsunterkunft Mainzer Straße auf eine Weise reflektieren, dass man ihr ohne weiteres zutraut, sich selbstbewusst im europäischen Kunstdiskurs der Gegenwart zu verorten. Vor allem aber ist auch „Curriculum Vitae“ wiederum ein Anfang. Ein prinzipiell offenes Projekt, zu dem während der Ausstellungsdauer weitere Künstler dazukommen, eigene Werke in die Schau einbringen und sich ein Portfolio erstellen können, um in der neuen Heimat auch arbeiten und allmählich in der Kunstszene Fuß fassen zu können. Vernetzung ist im Kunstbetrieb nun einmal alles. Und es funktioniert, jedenfalls immer wieder. Sara Nabils komplexe Installation etwa wurde schon zu einer weiteren Ausstellung eingeladen, und auch Mariam Nabil Kamal, die zwei noch in Afghanistan entstandene Videos zeigt, vertritt, wiewohl noch keine 30 Jahre alt, schon eine bemerkenswert reife Position, wie man sie auch auf internationalen Biennalen sehen kann.

          Gerade eben erst hat sich ein Künstler aus Eritrea vorgestellt, dessen Werk die Schau in ein paar Tagen schon bereichert, und überhaupt kommt immer wieder einer der vertretenen Künstler im Kunstverein vorbei, sei es, um sich auszutauschen, sei es, um im Internet zu recherchieren oder um in der Ausstellung eine Stunde Klavier zu spielen wie Aeham Ahmad.

          Bekannt geworden nach seinem Studium der Musik in Homs und Damaskus, als er, um den Menschen Hoffnung zu spenden, auf den Straßen eines Flüchtlingslagers spielte, bis ihm Islamisten das alte Piano wegnahmen und öffentlich verbrannten, lebt Aeham Ahmad erst seit einem halben Jahr in Deutschland. Im vergangenen Dezember hat er den Beethovenpreis für Menschenrechte erhalten. Bei der Eröffnung von „Curriculum Vitae“ im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden saß er selbstredend am Klavier.

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