Siedlung in Kronberg : Verschachtelte Bungalows über dem Dunst der Stadt
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Was vor dem Ensembleschutz verändert wurde, muss nicht zurückgebaut werden. Dieser gilt seit September 2016, allerdings werden Eigentümer von Objekten in Gesamtanlagen von der Behörde nicht angeschrieben. Anders ist es im Fall eines Einzeldenkmals wie dem Haus Rams. Das Wohngebiet Roter Hang ist in der Datenbank denkxweb.denkmalpflege-hessen.de verzeichnet, außerdem waren zwei Zeitungsartikel erschienen. Doch vielen Bewohnern mag der Schutz damals entgangen sein. Dem sollte eigentlich eine von der Stadt Kronberg geplante Informationsveranstaltung abhelfen. Doch dazu kam es nie, weil es Wechsel im Amt des Ersten Stadtrats und in der Stadtplanung gab.
Jetzt hat sich am Roten Hang eine Interessengemeinschaft gebildet. „Die Eigentümer fühlen sich teilenteignet und bevormundet“, sagt Julia Marquez Bertoni. „Viele Leute beklagen sich, sie seien nicht in ein Kunstwerk gezogen.“ Gerade junge Familien wollten das Geld nach einem Hauskauf lieber in eine neue Küche als in eine denkmalgerechte Attika stecken. Die umlaufenden Metallblenden als Abschluss der Flachdächer wertet die Denkmalpflege als ein typisches Merkmal der Originalhäuser. Sie mache aber eine Außendämmung unmöglich, sagt Marquez Bertoni. Und von einer Innendämmung rate jeder Sachverständige ab.
Manfred Bremen weiß, dass es früher schon Konflikte wegen Veränderungen gab. Die Wohnungen hätten Nachtspeicheröfen, die gerade in der Übergangszeit etwas träge seien. „Also besorgten sich die Leute Holzöfen und es gab Beschwerden über den Rauch.“ Er habe noch ein Schreiben der Stadt aus den achtziger Jahren. „Laut Bebauungsplan sei kein Schornstein erlaubt, es sei denn, er ist zehn Meter hoch.“ Der Bebauungsplan ist inzwischen aus formalen Gründen für ungültig erklärt geworden. Ärger gab es auch, wenn jemand Solaranlagen auf das Dach setzte und damit die Sicht versperrte.
„Gestaltungsfibel“ soll Klarheit schaffen
Als jetzt im Frühjahr zwei junge Frauen durch das Quartier gingen und offenbar mit einer Bestandsaufnahme beschäftigt waren, sorgte das bei etlichen Bewohnern für Sorge vor neuem Ungemach. Eigentlich ist das Gegenteil das Ziel. Das Landesamt für Denkmalpflege hat ein Bestandsgutachten in Auftrag gegeben, das die „prägenden Strukturen und Gestaltungselemente dokumentiert“. In einem zweiten Schritt soll daraus eine Handreichung werden, um die Unsicherheit bei den Eigentümern darüber zu beseitigen, was erlaubt ist und was nicht – eine am Roten Hang häufig zu hörende Klage. Wegen der anerkannten Qualitäten des Baubestandes habe man sich zu dieser zusätzlichen Leistung entschlossen, heißt es in Wiesbaden.
Kronbergs Erster Stadtrat Robert Siedler (parteilos) spricht von einer „Gestaltungsfibel“, die Klarheit schaffen solle. Dazu plane die Stadt eine Anliegerversammlung. Denn Siedler ist klar: „Das birgt Sprengstoff.“ Sie könne ja den Wunsch nach einer gewissen Einheitlichkeit verstehen, sagt Marquez Bertoni. „Man sollte Auswüchse unterbinden, aber nach beiden Seiten.“
Erhalt des Erscheinungsbilds
In einem Brief an das Landesdenkmalamt und die Bauaufsicht hat sie kritische Punkte aufgelistet, etwa die Forderung nach Rauhputz, der bei vielen Häusern inzwischen durch Glattputz ersetzt sei. Auch die Farbe der meisten Häuser hat sich in 45 Jahren verändert. „Früher waren alle mausgrau“, sagt Bremen. „Wir waren die zweiten, die ihres weiß gestrichen haben.“ Ein nicht auf den Roten Hang beschränktes Problem ist, dass die heutigen Müllgefäße nicht mehr in die Nischen für die einstigen Metalltonnen passen.
Alle Differenzen wird die Handreichung nicht überbrücken können. Für Beratung und Information im Einzelfall ist die Untere Denkmalschutzbehörde beim Hochtaunuskreis zuständig. Da es um den Erhalt des Erscheinungsbilds im Gesamten gehe, seien Veränderungen im Inneren der Häuser nur relevant, wenn sie Auswirkungen auf das Äußere hätten, sagt das Landesdenkmalamt.
Gegen die Fotografie einer Landschaft mit Blockhütte an der Haustür, wie sie ein berühmter Bewohner des Roten Hangs an ebendiese geklebt hatte, wäre wohl auch nichts zu sagen. „Directed by John Ford“ stand auf dem Bild, das die Tür von Peter Handke zierte. Er richtete 1972 in leerstehenden Räumen seines Bungalows einen Kinderladen ein, „weil viele Eltern in unserer Siedlung wie ich nicht wollen, dass die Kinder in den Kronberger Kindergarten gehen, wo man sich rühmt, ihnen jeden Tag ein neues Lied beizubringen“.
Handkes 1976 erschienener Roman „Die linkshändige Frau“ spielt in einer „terrassenförmig angelegten Bungalowsiedlung am südlichen Abhang eines Mittelgebirges, gerade über dem Dunst der großen Stadt.“