Wasserversorgung in Hessen : Bedarf wird weiter steigen
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Fließend: Im Wasserwerk Goldstein im Frankfurter Stadtwald schaffen Pumpen einen gleichmäßigen Druck im Netz. Bild: Wolfgang Eilmes
Bevölkerungswachstum und Klimawandel fordern Wasserversorger heraus. Hessenwasser will nun Millionen in Leitungsnetze investieren. Und mehr Wasser aus dem Rhein entnehmen.
Der 26.Juni 2019 bleibt beim kommunalen Versorgungsunternehmen Hessenwasser in Erinnerung: An diesem Tag wurde in der Region so viel Trinkwasser verbraucht wie noch nie zuvor. Der neue Spitzenwert lag um zwei Prozent höher als der Rekordwert im heißen Sommer 2018. Solche Spitzen bringen die technischen Anlagen der Hessenwasser, also Leitungen, Pumpen und Speicherkapazitäten, an ihre Grenzen. Die Wasserversorgung muss sich jedoch an diesen Tagesspitzenwerten ausrichten, sagt Hessenwasser-Geschäftsführerin Elisabeth Jreisat. Hessenwasser reagiere auf den gestiegenen Verbrauch mit dem Ausbau der Infrastruktur und werde in den nächsten Jahren 100 Millionen Euro investieren. Dazu zählt eine zweite Leitung aus dem Hessischen Ried in den Ballungsraum, mit deren Bau schon begonnen wurde, sowie der Neubau des Wasserwerks in Gernsheim-Allmenfeld im hessischen Ried.
Ursache für den gestiegenen Trinkwasserbedarf ist nach Angaben von Jreisat das Bevölkerungswachstum im Rhein-Main-Gebiet, „das natürlich auch Folgen für den Wasserverbrauch hat“. Prognosen gehen bis zum Jahr 2030 von einem Mehrbedarf von 3,4 bis zu 14,6 Prozent aufgrund der steigenden Bevölkerungszahl aus. Es gebe aber auch einen veränderten Umgang mit der Ressource Trinkwasser. Swimmingpools gehörten heute für viele ebenso in den Gärten dazu wie kontinuierlich betriebene Beregnungsanlagen.
Gravierender sind aber die Folgen des Klimawandels. In den vergangenen beiden Sommern ist es heiß und lange Zeit sehr trocken gewesen. Auch der Sommer 2003 sei heiß und langandauernd gewesen, erinnert Jreisat. Doch damals habe es immer mal wieder geregnet. Das genüge, um den Trinkwasserverbrauch zu senken. In den Jahren 2018 und 2019 seien die Spitzenwerte an Wochentagen erreicht worden, die außerhalb der Ferien lagen und denen sehr heiße Tage vorausgegangen seien. In diesem Jahr sei das am letzten Mittwoch vor den Sommerferien gewesen, im Jahr 2018 Anfang August, am ersten Tag nach den Sommerferien.
Extrema in Zukunft stärker?
Um die Folgen des Klimawandels auf die Wasserversorgung des Rhein-Main-Gebiets zu ermitteln, hat Hessenwasser mit Heiko Gerdes, Geschäftsführer eines renommierten Darmstädter Ingenieurbüros, einen Experten der Wasserwirtschaft mit Untersuchungen zur Verfügbarkeit von Grundwasser im Rhein-Main-Gebiet beauftragt. Gerdes zufolge ist aus allen vorhandenen Klimamodellen abzuleiten, dass die Verdunstung vor allem auf Feldern, in Grünanlagen und Wäldern in den nächsten Jahrzehnten immer stärker wird. „Die Wissenschaftler sind sich da ziemlich einig“, sagt Gerdes. Im Hessischen Ried sei deswegen für die landwirtschaftliche Beregnung im Jahr 2018 der bisher höchste Jahreswert von fast sechs Millionen Kubikmeter Wasser gemessen worden. Der Jahresmittelwert habe in den vergangenen 30 Jahren bei 3,2 Millionen Kubikmeter gelegen.
Uneinig seien sich die Klimaforscher dagegen in Bezug auf die Auswirkungen des Klimawandels auf die Niederschläge. Einige Experten erwarteten in den nächsten Jahrzehnten deutlich mehr Regen als bisher, andere einen deutlichen Rückgang. Gerdes selbst leitet aus dem „Dürresommer 2018“ ab, dass die „Extrema künftig stärker werden“: Die Temperaturen steigen und damit die Verdunstung, gleichzeitig fällt weniger Niederschlag. Die Häufigkeit des Zusammenspiels von Hitze und fehlendem Regen werde zunehmen, meint Gerdes. Und damit auch der Bedarf an Wasser. Der Experte sieht Hessenwasser für diesen Fall gerüstet. Seit der Inbetriebnahme der Rheinwasseraufbereitungsanlage in Biebesheim im Jahr 1989 sorgt das Unternehmen dafür, gefiltertes Rheinwasser im Hessischen Ried versickern zu lassen, um das auf diese Weise gewonnene Grundwasser zur Beregnung der Felder und zur Trinkwasserversorgung zu nutzen. Hessenwasser könnte, wenn nötig, die Grundwasserneubildung weiter verstärken. Derzeit stammen 30 Prozent des Trinkwassers aus derart infiltriertem Flusswasser.
Jreisat zufolge gibt es Überlegungen, mit dem Land Hessen ins Gespräch zu kommen, um die Entnahme von Rheinwasser zu erhöhen. In der Anlage in Biebesheim gebe es zwei sogenannte Aufbereitungsstraßen, eine dritte sei bei der Errichtung vorbereitet worden. Die könne nun schnell aktiviert werden. Folgen für den Rhein habe das nicht, die Entnahmen lägen im Promillebereich. Auch ökologisch habe das keine Folgen, ergänzt Gerdes. Jreisat ist überzeugt: Das System der Versickerung von Flusswasser, wie es auch im Frankfurter Stadtwald mit Mainwasser geschieht, ist ideal. „Wenn man das System nicht schon erfunden hätte, müsste man es jetzt in Zeiten des Klimawandels und des Bevölkerungswachstums tun.“