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In der Kostenfalle : Hessens Tierheime ringen ums Überleben

  • -Aktualisiert am

Hohe Kosten und wenig Platz: Die Lage in hessischen Tierheimen bleibt angespannt. Bild: Cornelia Sick

Hohe Energiepreise, der Ukrainekrieg und die Spätfolgen von Corona – viele Unterkünfte sind überfordert. Steigende Tierarztkosten sorgen jetzt für noch größere Existenzängste.

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          Der wegen hoher Energiekosten schwierige Winter ist gemeistert, aber die hessischen Tierheime gehen nicht gerade optimistisch in den Frühling. „Im Prinzip hat sich nicht viel verändert“, sagt Sigrid Faust-Schmidt vom hessischen Landestierschutzverband im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Die Liste der Probleme sei lang: höhere Kosten für Tierärzte, Angestellte und Futter, Personalmangel bei den Tierpflegern, immer mehr zu versorgende, oft auch schwierige oder vernachlässigte Tiere und immer weniger Vermittlungen an neue Besitzer.

          Ralf Euler
          Redakteur in der Rhein-Main-Zeitung, verantwortlich für den Rhein-Main-Teil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Immerhin muss nun nicht mehr so viel geheizt werden wie in den kalten Monaten. Zudem können die Tierheime sich wieder mit Veranstaltungen Geld dazuverdienen. Auch sind die staatlichen Hilfen, etwa der Energiekostenzuschuss vom Land, bei den Heimen angekommen, und die Spendenbereitschaft von privater Seite ist vielerorts ungebrochen.

          „Dank unserer großartigen Mitglieder und Spender sind wir kostenmäßig gut durch den Winter gekommen“, berichtet Karsten Plücker vom Tierheim „Wau-Mau-Insel“ in Kassel. Der Tierschutzverein in Wiesbaden hat sogar neue Mitglieder und Tierpaten gewonnen, nach einem Hilferuf in der Lokalzeitung wurden zudem Geld und Futter gespendet.

          Höhere Behandlungskosten beim Tierarzt

          Schwierig ist die Lage trotzdem. „Das größte Problem ist die Erhöhung der GOT“, sagt Faust-Schmidt. Die neue „Gebührenordnung für Tierärzte“, die drastische Erhöhungen zur Folge hat, ist seit dem 22. November in Kraft. Das trifft die Tierheime zum einen unmittelbar, wenn ihre Tiere behandelt werden müssen. Das Heim in Kassel etwa muss im Schnitt 30 bis 40 Prozent mehr für den Tierarzt zahlen. Besonders teuer wird es bei Operationen. „Wir sind bei einer OP schnell im vierstelligen Euro-Bereich“, rechnet die Vorsitzende des Tierschutzvereins Wiesbaden, Henriette Hackl, vor.

          Tierheime bekommen immer wieder Anrufe von verzweifelten Menschen, die sich die Behandlung ihrer Tiere beim Veterinär nicht mehr leisten können. Tierschützer befürchten daher, dass die Zahl der im Heim abgegebenen Tiere steigen werde. Doch viele der Unterkünfte sind bereits jetzt voll, schon lange werden mehr Tiere abgegeben als vermittelt. Bereits während der Pandemie war die Zahl der abgegebenen Tiere stark gestiegen. Darunter befanden sich auch exotische Arten wie Schlangen und Spinnen, die zum Überleben ein Gehege mit höheren Temperaturen benötigten, was wiederum zu höheren Energiekosten führte.

          Von überforderten Besitzern abgelieferte unerzogene Hunde, deren Zahl seit mehr als zehn Jahren steigt, vergrößern das Problem. „Ihnen muss das kleine Hunde-Einmaleins beigebracht werden, um überhaupt eine Vermittlungschance zu haben“, erklärt Hackl von den Wiesbadener Tierschützern. „Damit meine ich noch nicht einmal echte Problemhunde, die von Behörden sichergestellt werden.“

          „Wir brauchen einen Plan, wie man Tierheime dauerhaft finanziell stützt“

          Doch wohin mit einem Tier, das nicht mehr gehalten werden kann, wenn die Tierheime voll sind? „Wir schätzen, dass künftig mehr Tiere ausgesetzt werden“, sagt Faust-Schmidt vom Landestierschutzbund. Erschwerend komme hinzu, dass viele Tierpensionen in der Corona-Zeit mangels Nachfrage aufgegeben hätten, sodass die Unterbringung während der Arbeits- und Urlaubszeit oder einer Krankheit jetzt noch schwerer als vor dem Beginn der Pandemie sei.

          „Wir brauchen einen Plan, wie man Tierheime dauerhaft finanziell stützt“, fordert Hackl. Zum Beispiel könnten die Heime an den Hundesteuer-Einnahmen beteiligt werden, oder die Behörden könnten mehr Geld für sichergestellte und gefundene Tiere zahlen, schlägt sie vor. Die Einführung eines Hundeführerscheins könnte helfen, dass weniger Tiere unüberlegt angeschafft würden. Und eine Aufhebung der hessischen Hundeverordnung, die bestimmte Rassen als „gefährlich“ einordnet und die Haltung nur unter Auflagen erlaubt, würde die Vermittlung solcher Tiere erleichtern.

          Opposition im Landtag fordert mehr Unterstützung für Tierheime

          Die Tatsache, dass sich die notleidenden Tieren helfenden Heime selbst in Not befinden, hat sich indes auch im Hessischen Landtag herumgesprochen. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) brach Ende vergangenen Jahres eine Lanze für die Tierheime und kündigte finanzielle Hilfen in Höhe von 18.000 Euro an. Gestiegene Energiekosten, höhere Ausgaben für Futter und Tierärzte, außerdem mehr Tiere auf den Stationen – die Unterkünfte litten nicht zuletzt unter den Folgen des Ukrainekrieges und den Spätfolgen der Corona-Pandemie. Viele geflüchtete Ukrainer hätten ihre Haustiere mit nach Deutschland gebracht., und einige der Tiere seien in Heimen untergekommen, weil die Besitzer sie etwa nicht in Flüchtlingsunterkünfte mitnehmen könnten. Um in dieser angespannten Lage zu helfen, erhielten 36 hessische Tierheime und Tierschutzvereine jeweils 500 Euro aus Lottoeinnahmen des Landes.

          Rhein lobte die Arbeit der Heime und Vereine. Die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer leisteten täglich einen großartigen Job. „Ihre Arbeit ist unverzichtbar für das Wohl der Tiere.“ Die schwarz-grüne Landesregierung werde die Einrichtungen nicht alleinlassen, sondern einspringen, wenn es in der Energiekrise zu existenzbedrohlichen Liquiditätsengpässen komme und Bundeshilfen nicht ausreichten. Die Leidtragenden dürften am Ende nicht die Tiere sein, sagte der Ministerpräsident, der diese Einschätzung mit einem Appell verbindet: „Jede und jeder, der kann, sollte die hessischen Tierheime unterstützen; zum Beispiel mit einer Spende.“

          Der Opposition im Landtag ist das Engagement der Regierung allerdings noch nicht genug. Sie fordert eine im besten Fall kostendeckende, mindestens aber eine deutlich stärkere finanzielle Förderung von Tierheimen und Tierschutzvereinen. Andernfalls drohe vielen Einrichtungen in Hessen das Aus.

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