Geplante Verkehrsberuhigung : Wem gehört die Wiesbadener Nerostraße?
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Streitfall: Die Nerostraße in der Wiesbadener Innenstadt soll umgestaltet werden, links die Taunusstraße. Bild: Marcus Kaufhold
Anwohner streiten über die geplante Verkehrsberuhigung der bekannten Straße in der Wiesbadener Innenstadt – doch bei der Auseinandersetzung geht es nicht nur um die Zukunft der Nerostraße.
Wie soll die Wiesbadener Nerostraße künftig aussehen, und wer darf sie nutzen? Mehr als 120 Anwohner und Bürger aus dem Quartier haben jüngst intensiv und emotional über diese Fragen diskutiert und gestritten. Auf Einladung des Ortsbeirats Mitte waren die Wiesbadener zusammengekommen, denn die Stadt plant im Rahmen des Masterplans Innenstadt, den Verkehr in der Straße zu beruhigen. Befürworter und zahlreiche Gegner meldeten sich zu Wort: Händler fürchten um Kunden, Familien um die Möglichkeit, ihre Kinder mit dem Auto in die Kita zu bringen. Der Streit um die Straße steht auch für die grundsätzliche Frage, wer künftig den öffentlichen Raum in den Städten für sich beanspruchen kann.
„Es geht uns darum, den Anwohnern der Nerostraße eine lebenswerte Straße zu ermöglichen“, sagte Ortsvorsteher Guido Haas (Die Grünen). „Und um eine Aufwertung des nicht motorisierten Verkehrs.“ Der Ortsbeirat Mitte hatte im November 2022 mit knapper Mehrheit entschieden, den Magistrat darum zu bitten, die Nerostraße testweise in einen verkehrsberuhigten Bereich umzuwandeln.
„Traditionell eine Wohn- und Geschäftsstraße“
Der Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Die Grünen), ein erklärter Verfechter von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen, sprach davon, dass mittelfristig eine Fußgängerzone in der angrenzenden Saalgasse denkbar sei. „Die Idee ist, dass wir hochattraktive Stadträume schaffen, die eine hohe Aufenthaltsqualität mit sich bringen“, skizzierte er seine Vorstellungen. Zugleich beruhigte er die Nerostraßen-Anwohner, es sei dort keine Fußgängerzone geplant. Zudem müsse der notwendige Verkehr beibehalten werden, es gehe darum, die Wohn- und Lebensqualität an der Nerostraße zu erhöhen. Eine Revitalisierung der Straße als Partymeile schloss Kowol kategorisch aus.
Für Marc Wahler, Hauseigentümer und Anwohner, ist die Nerostraße „traditionell eine Wohn- und Geschäftsstraße. Ich kann nicht verstehen, dass die Stadt in ein funktionierendes System eingreift.“ Markus Wucherpfennig, Antiquitätenhändler, ist ein erklärter Gegner von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen in der Straße. „Wir leben alle davon, dass unsere Kunden bei uns parken können. Bei einer Verkehrsberuhigung fliegen dann noch mehr Parkplätze weg“, warnte Wucherpfennig. „Haben Sie schon mal einen Kunden von mir mit einer Biedermeier-Kommode auf dem Rücken gesehen?“
„Ich habe Angst, dass man uns alle Parkplätze wegnimmt“, sagte Michael Göbel, Hauseigentümer, und Peter Schöger stellte klar: „Wir wollen das Quartier für die Anwohner attraktiv halten.“ Beide sehen die angekündigte Verbesserung der Aufenthaltsqualität skeptisch und fürchten nächtlichen Lärm.
Argumente auf beiden Seiten
Thomas Schachler, Inhaber einer Weinbar mit Außengastronomie und Mitglied der Initiative Lebenswerte Nerostraße, hielt in der Diskussion dagegen: „Wir wollen keine Schnellstraße werden, die wir zum Teil schon sind.“ Er forderte mehr Sitzgelegenheiten und Pflanzen. Zahlreiche Redner kritisierten, dass die Gehwege zugeparkt seien und es insbesondere für ältere Menschen und Behinderte eine Zumutung sei, deswegen auf die Straße auszuweichen. „Lebenswert ist die Straße für mich, wenn dort ein Baum steht und kein Auto“, stellte eine Anwohnerin klar.
Zwei Studentinnen warnten derweil vor einer weiteren Gentrifizierung der Straße und steigenden Mieten, wenn die Nerostraße attraktiver werde. „Sollen wir die Straße verwahrlosen lassen?“, merkte daraufhin ein Anwohner sarkastisch an.
Zu einer Annäherung der beiden Lager kam es im Verlauf der Diskussion nicht. Sascha Baron, Abteilungsleiter für Verkehrsplanung der Stadt, stellte klar, dass nur Kompromisse zu einer Lösung führen könnten. Die Vorschläge dafür werde die Stadt nun ausarbeiten.