Rechtschreibung : Fehler in Deutsch werden kaum noch gewertet
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Hauptsache, der Inhalt stimmt: Die sprachliche Form zählt auch in Deutsch-Klausuren nicht so sehr. Bild: Picture-Alliance
Der Hessische Philologenverband kritisiert eine neue Regelung bezüglich Oberstufenklausuren. Das Kultusministerium beruft sich auf einen bundesweiten Beschluss.
Der Hessische Philologenverband beklagt, dass eine korrekte Schriftsprache nur noch eine untergeordnete Rolle spiele - selbst bei der Notengebung im Fach Deutsch an Gymnasien. Die Kritik zielt auf eine Neuregelung, die seit Beginn dieses Schuljahres in den hessischen Oberstufen gilt. Danach können für sprachliche Fehler in Klausuren statt vier nur noch maximal zwei Punkte abgezogen werden. Somit kann eine Deutscharbeit auch dann noch mit 13 Punkten, also einer 1-, bewertet werden, wenn sie gravierende Mängel in Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik und Ausdruck aufweist.
Die diesbezügliche Novellierung der „Oberstufen- und Abiturverordnung“ könne nur „mit Unverständnis aufgenommen werden“, sagt Reinhard Schwab, Vorsitzender des Pädagogischen Ausschusses im Hessischen Philologenverband und Gymnasiallehrer in Fulda. „Die neue Regelung relativiert die Bedeutung der formalen Korrektheit.“ Damit verstärke sie den allgemeinen Trend an den Schulen. Dort sei es um die Sicherheit in der Rechtschreibung schon länger schlecht bestellt. Immer mehr Aufsätze von Schülern wiesen beträchtliche orthographische und grammatische Defizite auf. Selbst mit Hilfe der Rechtschreibprüfung am Computer seien durchschnittliche Oberstufenschüler nicht in der Lage, einen fehlerfreien Text zu verfassen.
Die Neuregelung soll zu besserer Vergleichbarkeit führen
Geringer als bisher ins Gewicht fallen laut „Oberstufen- und Abiturverordnung“ nicht nur Verstöße gegen die Regeln von Orthographie, Grammatik und Interpunktion, sondern auch stilistische Fehler wie Wiederholungen, umgangssprachliche Wendungen, falsche oder missverständliche Ausdrücke, fehlende Wörter oder unpassende Metaphern. Gar nicht gezählt werden Flüchtigkeitsfehler wie fehlende Punkte am Satzende, solange danach groß weitergeschrieben wird, fehlende Endbuchstaben und Buchstabendreher. Kommen auf hundert Wörter drei bis fünf Fehler, wird von der Note (in der Oberstufenskala von 0 bis 15 Punkten) ein Punkt abgezogen. Sind es sechs oder mehr Fehler, werden zwei Punkte abgezogen.
Das hessische Kultusministerium verweist auf Anfrage darauf, dass bisher lediglich im Fach Deutsch bis zu vier Punkte für sprachliche Fehler abgezogen worden seien. Die neue Regelung gleiche die Bewertung der von anderen Fächern an. Das entspreche dem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2012 zu den Bildungsstandards für die allgemeine Hochschulreife im Fach Deutsch. Hessen habe versucht, in der KMK eine bundesweite Regelung zu erreichen, die einen Abzug von bis zu vier Notenpunkten vorsieht und damit der bisherigen hessischen Regelung entsprochen hätte. Das sei nicht durchzusetzen gewesen, da es in anderen Ländern zu einer deutlichen Verschärfung geführt hätte. „Ein Ausscheren Hessens aus dem KMK-Beschluss hätte wiederum dazu geführt, dass hessische Schülerinnen und Schüler bei gleicher Leistung im Inhalt und Ausdruck schlechtere Gesamtnoten erhalten“, sagte ein Sprecher von Kultusminister Alexander Lorz (CDU). Um dies im Sinne der Schüler und der Vergleichbarkeit der Abiturprüfungen zu vermeiden, habe Hessen die Neuregelung eingeführt.
„Sprachunterricht kommt zu kurz“
Die Sorge von Eltern und Lehrern, die Anforderungen würden gesenkt und die Qualität des hessischen Abiturs gefährdet, sei verständlich, sagte der Sprecher. Sie könne aber ausgeräumt werden, da die konkrete Auswirkung auf die Zeugnisnote nur geringfügig sei (siehe Kasten). Im Übrigen sei der Erwerb von Kompetenzen in Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik nicht Aufgabe der Oberstufe, sondern der Mittelstufe. Eine Kritik an den Schreibfähigkeiten von Schülern müsse deshalb auch dort ansetzen. Es lägen dem Kultusministerium jedoch keine Rückmeldungen aus Schulen oder Verbänden vor, dass die orthographischen Leistungen von Mittelstufen-Absolventen oder Abiturienten gesunken seien.
Reinhard Schwab vom Philologenverband, in dem vor allem Gymnasiallehrer organisiert sind, widerspricht dieser Darstellung gleich auf mehreren Ebenen. Auch wenn es curricular vorgesehen sei, Orthographie und Grammatik in der Mittelstufe zu vermitteln, zeige die Realität, dass längst nicht alle Mittelstufen-Absolventen sicher in der deutschen Schriftsprache seien. In der Oberstufe werde dann aber so getan, als sei das Thema erledigt. „Die Behandlung schöner Literatur genießt Vorrang, Sprachunterricht kommt zu kurz.“ Besonders ärgerlich sei es, dass manchen Schülern der Wille zum richtigen Schreiben fehle, sagt Schwab. Würden sie auf Fehler in Rechtschreibung, Grammatik oder Ausdruck hingewiesen, entgegneten sie, es gehe doch um den Inhalt. „Sprache und Denken hängen aber unauflöslich zusammen, mit Sprache schärfen wir unser Denkvermögen, ein gewisses Maß an Form sichert die Klarheit und Genauigkeit der Aussage.“
17 Prozent der hessischen Polizeianwärter scheitern an Sprachtest
Auch der Darstellung des Kultusministeriums, es lägen keine Anhaltspunkte für abnehmende Schreibfähigkeiten von Abiturienten vor, widerspricht Schwab. Bei Stellenbewerbern oder Studienanfängern seien gravierende Mängel zu beobachten. „An Hochschulen kursiert das Wort vom Sprachnotstand.“ Gestützt wird diese Beobachtung von jüngsten Berichten des Bundeskriminalamts in Wiesbaden, wonach viele Bewerber wegen mangelnder Rechtschreibkenntnisse ausschieden. Bei der hessischen Polizei scheitern 17 Prozent der Anwärter - die allermeisten haben Abitur - an einem Sprachtest. Nach Meinung Schwabs rühren solche Schwächen von einer unzureichenden Grundlage her, hervorgerufen durch zu geringe Übungszeiten und fragwürdige Zugeständnisse im Hinblick auf die Regelkonformität. „Sichere Rechtschreibfähigkeiten erwerben Schüler durch systematisches Üben und das konsequente Kontrollieren sowie Bewerten ihrer Schreib- und Leseleistungen, flankiert durch das Wissen über das orthographische System.“
Lehrer weiterführender Schulen beklagen immer wieder, dass die Grundschulen es versäumten, ein sicheres Fundament der Schriftsprache zu legen. In der Kritik steht insbesondere das Konzept „Lesen durch Schreiben“, nach dem Kinder Laute zu Worten aneinanderreihen können, ohne Rechtschreibregeln zu beachten. Das Kultusministerium kann keine Angaben dazu machen, wie viele hessische Schulen so verfahren. Jede Grundschule entscheide aufgrund ihres pädagogischen Konzepts, mit welcher Methode die Kinder Lesen und Schreiben lernten. Das lautorientierte, durch die Verwendung einer Anlauttabelle unterstützte Schreiben lasse Kinder schnell kleine Sätze und Texte verfassen, was zu einer hohen Motivation der Erstklässler führe, sagte der Sprecher. Die Methode sei nicht als „Rechtschreiblehrgang“ zu betrachten, sondern als „ein Entwicklungsschritt auf dem Weg zum normgerechten Schreiben“, der in der Grundschule beginne und in der weiterführenden Schule fortgesetzt werde.
Wie die Deutschnote berechnet wird
Bei der Berechnung der Zeugnisnote in der Oberstufe werden die mündliche und die schriftliche Leistung im Verhältnis von 60 zu 40 gewertet. Von der schriftlichen Note konnten im Fach Deutsch für sprachliche Fehler bisher vier Punkte abgezogen werden, seit diesem Schuljahr sind es nur noch zwei. Nach Darstellung des Kultusministeriums kann der geringere Punktabzug allerdings maximal zu einer Verbesserung der Gesamtnote um 0,8 Punkte führen.
Das Ministerium führt in einer Beispielrechnung einen Schüler an, der mündlich auf elf Punkten steht und in den Klausuren ebenfalls elf Punkte erzielt hätte, wären da nicht die gravierenden sprachlichen Mängel gewesen. Nach der alten Regelung, also einem Abzug von vier Punkten in jeder Klausur, käme er schriftlich auf nur noch sieben Punkte.
Wegen der höheren Gewichtung der mündlichen Leistung führt das zu einer Gesamtnote von 9,4 - im Zeugnis stehen somit neun Punkte. Nach der neuen Regelung, also einem Abzug von zwei Punkten, kommt der Schüler schriftlich auf neun, insgesamt also auf 10,2 Punkte. Im Zeugnis hat er sich im Vergleich zur alten Regelung also um einen auf zehn Punkte verbessert. (trau.)