Prozessbeginn in Hanau : Details eines Messerkampfs
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Müssen sich verantworten: vier der neun Angeklagten am Donnerstag vor dem Hanauer Landgericht Bild: Lucas Bäuml
Es war ein nichtiger Anlass, der gravierende Folgen hatte: Zwei Gruppen von jungen Männern stehen unter anderem wegen versuchten Totschlags in Hanau vor Gericht.
Die Aufgabe, die Katharina Jost bewältigen muss, ist keine leichte. Die Vorsitzende Richterin der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Hanau muss mit ihren Richterkollegen die Messerstecherei aufklären, die sich am Abend des 28. April in der Hanauer Innenstadt zugetragen hat. Zwei Gruppen von jungen Männern gingen aufeinander los: auf der einen Seite drei Albaner, auf der anderen fünf Syrer und ein Iraker, wie es in der Anklageschrift von Staatsanwalt Markus Jung heißt. Den Albanern und einem Syrer wirft der Ankläger versuchten Totschlag vor, weil sie den Ermittlungen zufolge mit Messern gekämpft haben. Deshalb sitzen sie in Untersuchungshaft. Die anderen Angeklagten sollen zugeschlagen haben, etwa mit einer Eisenstange oder mit der Faust. Deswegen müssen sie sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Angehörige beider Gruppen trugen teils lebensgefährliche Verletzungen davon: Schnitte und Stichwunden, Verletzungen der Lunge und Platzwunden am Kopf.

Freier Autor in der Rhein-Main-Zeitung.
Die Aufgabe der Richter ist es, die Details dieser blutigen Auseinandersetzung und ihrer Vorgeschichte zu rekonstruieren. Obwohl der Messerkampf nicht einmal eine Minute dauerte, wird die Aufklärung Monate in Anspruch nehmen. Vorgesehen sind nach dem Prozessauftakt am Donnerstag mindestens 13 weitere Verhandlungstage bis in den Februar hinein.
Warum die Aufklärung so lange dauert, wurde am ersten Sitzungstag klar: Die Richter wollen mit den Aussagen der Beteiligten, aber auch mit Hilfe der Bilder von Überwachungskameras, nachvollziehen, wer wann was getan hat: wer eine Beleidigung aussprach, wer zuerst sein Messer in die Hand nahm, wer von Anfang an dabei war – und wer erst im Laufe des Konflikts dazustieß.
Vom verbalen Streit zur Messerstecherei
Wenn alles sich wenigstens ungefähr so abgespielt hat, wie der Staatsanwalt es in der Anklageschrift vorgetragen hat, entstand der Gewaltausbruch aus einer Nichtigkeit heraus. Einer der Syrer, der 26 Jahre alte Azad S., hat demnach gegen 21.30 Uhr auf dem Freiheitsplatz uriniert. Der gleich alte Albaner Eraldo H. störte sich daran und wies den Syrer zurecht. Daraus entwickelte sich ein Wortgefecht mit Beleidigungen, beide zogen daraufhin ihre Messer. Auf beiden Seiten mischten sich Brüder und Freunde ein. Der Streit, zunächst verbal ausgetragen, verlagerte sich auf die Rosenstraße und die Langstraße in der Innenstadt, bis es schließlich auf einem Parkplatz nahe dem städtischen Klinikum zu der Messerstecherei mit den schweren Verletzungen kam. Danach liefen alle auseinander und flüchteten in verschiedene Richtungen. Ihnen war gleichgültig, dass die Verletzten hätten sterben können, wie der Staatsanwalt sagte.
Als Erster sagte am Donnerstag der 30 Jahre alte Syrer Alan H. aus, der 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Wie er berichtete, verbrachten sein Freund Azad S. und er den Abend in der Innenstadt, tranken Whiskey-Cola aus der Dose. Azad S. habe mehr getrunken, er sei besoffen gewesen. Was Alan H. weiter schilderte, deckt sich im Wesentlichen mit dem Ablauf, wie in der Anklage geschildert. Auch Alan H. berichtete von dem Urinieren auf dem belebten Platz im Stadtzentrum und dem Wortgefecht mit dem Albaner.
Kurz darauf habe man in der Rosenstraße einer Gruppe von vier bis fünf Albanern gegenübergestanden, alle mit Messern. Alan H. sagte, in dem Streit habe er versucht, seinen Freund Azad S. zurückzuhalten. Der Angeklagte spricht noch von einem weiteren Detail: Azad S. habe seine Bauchtasche auf den Boden geworfen, einer der Albaner habe sie aufgehoben und mitgenommen, der Syrer habe sich seine Tasche mit persönlicher Habe wiederholen wollen. Alan H. gibt auch zu, sich an dem Kampf auf dem Parkplatz beteiligt zu haben: Er habe seinen Gürtel um die Hand gewickelt und mit der so verstärkten Faust zugeschlagen.