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Kommentar : Der Fall Tugce

  • -Aktualisiert am

Von vielen Menschen als Heldin gefeiert: Studentin Tugce Albayrak Bild: dpa

Tugce Albayrak hat im entscheidenden Moment nicht gezögert, sondern Mut bewiesen. Ihr Fall bringt eine Diskussion um Zivilcourage in Gang, in der sich jeder fragt, wie er selbst in Tugces Situation gehandelt hätte.

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          Woran mag es liegen, dass so viele Menschen den Tod von Tugce Albayrak betrauern? Dass Zehntausende in den sozialen Netzwerken ihre Anteilnahme bekunden, dass so viele Menschen am Freitagabend zur Trauerkundgebung vor das Offenbacher Krankenhaus kamen und dass der Ministerpräsident sie für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen will, postum?

          Da mag zunächst der Alltagsgedanke an den Aberwitz des Zufalls aufkommen, an die Was-wäre-wenn-Frage. Was wäre gewesen, wäre die junge Frau nicht noch bei McDonald’s eingekehrt? Was wäre gewesen, wenn sie zwar in Streit geraten wäre, aber nicht mit jemandem, der gleich so brutal zuschlug? Vor allem aber wird es die Zivilcourage sein, die die Menschen bewegt. Jeder wird sich fragen, ob er selbst sich auch so mutig gezeigt hätte, wenn nachts in unwirtlicher Gegend zwei sehr junge Mädchen, offenbar betrunkene halbe Kinder, um Hilfe riefen.

          Auf mutige Menschen ist jeder angewiesen

          Tugce hat nicht gezögert, sie hat gehandelt, hat Mut bewiesen. Auf solche Menschen ist jeder angewiesen, dem es an den Kragen geht und der sich selbst nicht helfen kann. Das ist es wohl, was die Menschen vor allem Anteil nehmen lässt am Schicksal der jungen Frau, ihrer Familie und ihres Verlobten. Genau so, wie man im September 2009 mit Dominik Brunner mitfühlte, der an einem S-Bahnhof in München von Jugendlichen zu Tode geprügelt und getreten wurde, nur weil er sich schützend vor Schüler gestellt hatte.

          Der genaue Vorgang der Tat in Offenbach ist noch nicht geklärt. Der junge Mann, der erst Rache angekündigt haben soll und dann – wohl per Handkantenschlag – gewalttätig wurde, vielleicht auch in machohafter Vorstellung besonders gedemütigt, weil eine Frau ihn zurechtgewiesen hatte, er schweigt. Er ist nicht das, was die Justizbürokratie einen Intensivtäter nennt.

          Aber gegen ihn hat die Polizei bereits mehrfach ermittelt, wegen Eigentumsdelikten und wiederholt wegen Körperverletzung. Selbst mit dem allerliberalsten Resozialisierungsethos wünschte man sich, dass Polizei, Justiz und soziale Organisationen solche jungen Männer sehr viel aufmerksamer in den Blick nähmen. Bei allem Verständnis für schwierige Lebensumstände müssen jugendliche Delinquenten auch mit der Konsequenz der Gerichte rechnen.

          Die jungen Mädchen, denen Tugce A. zur Hilfe kam, haben sich bisher nicht bei der Polizei gemeldet. Dabei könnten sie helfen, den Fall aufzuklären. Sollten sie auch nur ein Fünkchen Anstand im Leibe haben, müssen sie sich melden. Das sind sie der Verstorbenen schuldig. Und der Idee von der Zivilcourage, die jetzt abermals so schlimm beschädigt wurde.

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