Informatiker der TU Darmstadt : Angriffsziel Mobilfunk
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Funkstille: Bei einem großflächigen Stromausfall würde auch das Handynetz innerhalb eines Tages zusammenbrechen. Solange noch Saft in den Akkus ist, wären mobile Gespräche theoretisch trotzdem möglich – von Telefon zu Telefon, ohne den Umweg über die Masten der Netzbetreiber. Die Voraussetzungen dafür können allerdings nur in Kooperation mit den Mobilfunkanbietern geschaffen werden. Ob die daran Interesse haben, ist fraglich. Bild: dpa
Handynetze können durch Kriminelle, Terroristen und Katastrophen lahmgelegt werden. Informatiker der TU Darmstadt haben eine Idee, was dann zu tun wäre.
Die Frage ist nicht, ob es passiert, sondern wann. Mobiltelefone und deren Netze sind für Übeltäter aller Art potentiell lohnende Angriffsziele – davon ist Matthias Hollick überzeugt. „Wir werden das früher oder später erleben“, glaubt der Darmstädter Informatikprofessor. Er hält es für denkbar, dass bestürzte Smartphone-Besitzer irgendwann die Botschaft erhalten, die Daten auf ihrem Gerät seien verschlüsselt worden und könnten nur nach Zahlung eines Lösegelds wiederhergestellt werden. „Eine Attacke nach Art von ,Wannacry‘ auch auf Mobilfunknetze ist technisch nicht unrealistisch.“ Auf Smartphones seien oft persönliche Fotos und wichtige Informationen gespeichert. „Deshalb könnten auch sie Ziele von Erpressungs-Trojanern werden.“
Solche bösartigen Computerprogramme werden künftig womöglich nicht nur von Kriminellen auf die Handywelt losgelassen. Terroristen und feindlich gesinnte Länder können sich dieser Waffe ebenfalls bedienen. Hollick sagt: „Ich gehe davon aus, dass es Staaten gibt, die Angriffs-Software besitzen, mit denen sich Mobilfunknetze lahmlegen lassen.“
Wie hält man mobile Kommunikation in Krisenfällen aufrecht?
Für Funkstille sorgen kann auch ein lang anhaltender, großflächiger Stromausfall, der ebenso durch eine Cyber-Attacke verursacht werden könnte wie durch eine Naturkatastrophe. Anrufe von Menschen, die Hilfe brauchen oder sich nach ihren Angehörigen erkundigen wollen, würden die Netze heillos überlasten. Bald wären die Dieseltanks der Notstromaggregate ebenso leer wie die Handy-Akkus. Spätestens nach 24 Stunden ohne Elektrizität, vermutet Hollick, wäre mit dem kabellosen Telefonieren Schluss.
Der Wissenschaftler und seine Kollegen suchen nach Wegen, wie sich die mobile Kommunikation in Krisenfällen zumindest in Teilen aufrechterhalten ließe. An der TU Darmstadt wurde deshalb ein Forschungsschwerpunkt aufgebaut, an dem sich auch Experten der Universitäten Marburg und Kassel beteiligen. Das Land Hessen unterstützt die Arbeit des Verbundes mit rund 4,5Millionen Euro aus seinem Förderprogramm Loewe.
Eine Idee von Hollick und seinen Mitstreitern ist es, Smartphones so umzurüsten, dass sie im Notfall direkt mit anderen Endgeräten kommunizieren können – ohne den Umweg über die Funkmasten und Server der Netzanbieter. Technisch ist das machbar, wie die Forscher gezeigt haben. Mit W-Lan-Systemen etwa lassen sich Distanzen von 50 bis 100 Metern überwinden. Auch kann ein Handy selbst als Zwischenstation dienen, um Informationen an andere Telefone weiterzuleiten. Das macht es möglich, zumindest kleinere Gruppen von Nutzern ohne Infrastruktur miteinander zu verbinden. So könnte im Katastrophenfall lokale Hilfe organisiert werden.
Um solche autonomen Netze aufzubauen, genügen im Prinzip handelsübliche Smartphones. Die Funktionen, die für die direkte Kontaktaufnahme gebraucht werden, sind jedoch im Standardbetrieb nicht verfügbar. „Wir hacken die Telefone frei, aber das ist nicht massentauglich“, sagt Hollick. Wolle man den Notfallmodus allgemein verfügbar machen, gehe das nur in Kooperation mit den Netzbetreibern und Geräteherstellern. Dass Mobilfunkanbieter großes Interesse daran haben, bezweifelt der Professor indes. „Das machen Betreiber nicht freiwillig. Sie wollen ja nicht, dass die Geräte an ihrer Infrastruktur vorbei Daten austauschen. Daran würden sie kein Geld verdienen.“
„Grundsätzlich birgt natürlich jede Technik Gefahren“
Hollick setzt deshalb auf den Staat. „Es würde extrem helfen, wenn die Politik einen Rahmen vorgibt, um so etwas einzuführen.“ In Japan, einem Land mit reichlich Katastrophen-Erfahrung, habe es schon früher als in Deutschland technische Vorschriften für die Krisen-Kommunikation gegeben – etwa die, dass Notrufe ortbar sein müssen.
Hierzulande ist nach dem Eindruck des TU-Forschers generell die Bereitschaft, sich auf großflächige Notsituationen vorzubereiten, in den vergangenen Jahren eher zurückgegangen. Das sei vor allem auf das Ende des Kalten Krieges und die damit einhergehende Reduzierung des Zivilschutzes zurückzuführen. Mit lokal begrenzten Unglücken kämen Feuerwehr und Technisches Hilfswerk meist gut zurecht, aber um eine ausgedehnte Katastrophe zu bewältigen, reichten die Kapazitäten „vorne und hinten nicht“.
Wobei die Tatsache, dass noch nicht alle Hilfskräfte auf dem neuesten Stand der Technik sind, im Fall eines elektronischen Angriffs sogar ihr Gutes haben könne: Alte analoge Funkgeräte seien schwerer zu stören und der Täter lasse sich leichter orten.
Neuerungen wie den Notfallmodus für Smartphones durchzusetzen könnte Hollick zufolge nicht nur durch wirtschaftliche Interessen erschwert werden. Womöglich seien auch die Behörden nicht begeistert von der Vorstellung, dass Handybesitzer unmittelbar miteinander kommunizierten. Vertreter der Sicherheitsorgane könnten fürchten, dass Dschihadisten und andere Verbrecher diese Möglichkeit für unentdeckte Absprachen nutzen.
Doch der Forscher hält dieses Risiko für vernachlässigbar. Schließlich wäre solch ein Notfallnetz vor allem von lokaler Bedeutung; für die Aktivitäten transnational agierender Krimineller würde es sich kaum eignen. „Grundsätzlich birgt natürlich jede Technik Gefahren“, hebt Hollick hervor. „Aber ich verbiete ja auch keine Lastwagen, weil Terroristen damit in Menschenmengen fahren.“