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Hochschulen : „Es geht nicht nur um die Einnahmen des Uni-Klinikums Gießen“

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Staatssekretär und Aufsichtsrat: Joachim-Felix Leonhard

Staatssekretär und Aufsichtsrat: Joachim-Felix Leonhard Bild:

Die Universität Gießen will das Klinikum vollständig privatisiert wissen. Auch der Klinikumsvorstands will das. Doch der Landtag kann beide Institutionen überstimmen, so der Aufsichtschef des Klinikums, Leonhard, im Interview.

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          Das wirtschaftlich von der Hochschule abgekoppelte Gießener Uni-Klinikum kämpft mit einem wachsenden Defizit. Die Kosten übersteigen die Einnahmen. 200 Millionen Euro müßten ins Klinikum investiert werden. Doch das Land Hessen hat kein Geld, den Investitionsstau aufzulösen. Angesichts dessen wird Hilfe bei privaten Geldgebern gesucht. Möglich ist ein Investorenmodell, bei dem das Klinikum weiter dem Land untersteht und ein privater Geldgeber die Mittel für Investitionen vorschießt, oder eine vollständige Übernahme durch einen Klinik-Konzern. Zu beiden Varianten äußert sich der Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikums, Wissenschafts-Staatssekretär Joachim-Felix Leonhard, im folgenden Interview.

          In Gießen gelten Sie neben dem Personalrat als einziger, der sich für die „kleine Version“ der Privatisierung des Uni-Klinikums stark macht. Sind Sie ein Anhänger des Investorenmodells?

          Ich bin ein Anhänger jeder Lösung, die das Uni-Klinikum instandsetzt, überhaupt schnellstmöglich Investitionsmittel zu bekommen. Ich lasse das prüfen, was uns im Aufsichtsrat vom Klinikumsvorstand an belastbaren Aussagen von Interessenten, die das Klinikum übernehmen wollen, vorgelegt worden ist. Doch außer dem Betreibermodell stehen auch Investoren- oder Leasingmodelle weiter zur Disposition.

          Das Hauptproblem dürfte die Einnahmeseite sein. Die Kosten laufen davon. Nun müßte das Klinikum die zur Verfügung gestellten Mittel in jedem Fall erwirtschaften. Da sich beim Investorenmodell die Einnahmen nicht verbesserten, brächte diese Lösung das Klinikum doch nicht weiter, oder?

          Es geht nicht nur um die Einnahmen, sondern auch um die Frage, wie ein Klinikum gemanagt wird. Jedes Klinikum hat die Aufgabe, das Management zu organisieren, und es ist zu kurz gegriffen, dies auf die baulichen Rahmenbedingungen zu focussieren, die in Gießen allerdings erheblich schlechter sind als in Frankfurt und Marburg.

          Letztlich braucht das Klinikum Geld, mit dem es die Investitionen abstottert. Wenn sich die Einnahmen nicht verbessern lassen, müssen Kosten gesenkt und auflaufende Defizite übernommen werden...

          Ja, aber das, was in Gießen bisher diskutiert wird, ist der Finanzbedarf von 200 Millionen Euro, der den Investitionsstau widerspiegelt. Dabei wird nicht diskutiert, was im Zuge der Herstellung einer wirtschaftlichen Einheit mit dem Marburger Uni-Klinikum gegebenenfalls auch entfallen könnte. So haben wir noch zu entscheiden, ob wir in Gießen und in Marburg jeweils eine Zahnklinik brauchen.

          Wieviel brächte der Verzicht auf Investitionen in die Gießener Zahnklinik?

          Ich möchte mich ungern mit Zahlen festlegen. Aber es gibt noch ein anderes Beispiel: Wenn man die Zentralapotheke für beide Kliniken in Marburg ansiedelt, könnten rund acht Millionen Euro gespart werden, die sonst in Gießen in eine neue Zentralapotheke investiert werden müßten. Zudem ist auch noch nicht abschließend entschieden, ob, wie zum Beispiel in Frankfurt geschehen, auch einmal eine defizitäre Abteilung wie die Kinderherz-Chirurgie geschlossen wird, weil sich das entsprechende Angebot an einem anderen Krankenhaus, nämlich in diesem Fall in Gießen, findet.

          Dadurch würden aber die Einnahmen auch nicht steigen!

          Um die Einnahmen zu verbessern, gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann Leistungen reduzieren, die in Marburg oder Frankfurt besser erledigt werden könnten, aber das steht derzeit nicht zur Debatte. Oder es wird ein Betreiber gefunden. Dann muß man aber einrechnen, daß in einem solchen Fall die ins Uni-Klinikum geflossenen Hochschulbau-Mittel zurückzuzahlen wären. Das hat der Wissenschaftsrat eindeutig bestätigt.

          Wieviel Geld müßte der mögliche Betreiber erstatten?

          Das wären rund 40 bis 50 Millionen Euro. Wenn ein Betreiber seine Möglichkeiten so einbringt, daß das Gesamtkonzept eines Uni-Klinikums gewährleistet wird, kann ich mir das durchaus vorstellen. Entscheidend ist jetzt, schnellstmöglich Varianten zu finden, die nicht holzschnittartig entweder auf das eine Modell oder das andere Modell hinauslaufen, sondern die auch Mischformen ermöglichen. Investitionen in Uni-Kliniken sind ja auch und gerade eine landespolitische Frage. Deshalb wird nicht der Aufsichtsrat zu entscheiden haben, sondern der Landtag und davor das Kabinett.

          Was wollen denn Wissenschaftsminister Corts und Ministerpräsident Koch?

          Die Angelegenheit wird ergebnisoffen diskutiert. Unser Bestreben muß sein, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und keinen Denkanstoß zu vernachlässigen.

          Die Universität Gießen und der Vorstand des Uni-Klinikums wollen die „große Lösung“, also die Übernahme. Kann gegen diese beiden eigentlich eine Entscheidung getroffen werden?

          Das kann sicherlich der Fall sein. Die Entscheidung liegt letztlich beim Landtag. Und es ist eine im Rahmen der politischen Meinungsbildung zu klärende Frage, ob man das Uni-Klinikum vollständig privatisieren will. Die strategischen Entscheidungen zum Klinikum werden im übrigen vom Aufsichtsrat, die operativen Beschlüsse vom Vorstand getroffen.

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