Natur-Grundschule : Das Schuldach wechselt im Rhythmus der Jahreszeiten
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Der Natur nahe: Anke Ziehm will eine Schule im Kelkheimer Wald eröffnen. Bild: Cornelia Sick
Im hessischen Kelkheim gibt es Pläne für eine Natur-Grundschule. Hier könnten Kinder im Wald und an der frischen Luft lernen statt im klassischen Schulbetrieb. Kann das funktionieren?
Morgens um 8.45 Uhr, das wäre etwa die Zeit des Schulbeginns, werden die Finger recht schnell klamm. Herumstehen tut dem Wärmeempfinden auch nicht gut, trotz dicker Schuhe. Aber dann wieder mischt sich in das Krächzen der Krähen ein fröhliches Vogelzwitschern, und ganz in der Nähe hallt das bilderbuchmäßige Klopfen eines Spechts durch den Wald. Ohne dass jemand erst den Rollwagen zum Abspielen der Tonaufnahme aus dem Mehrzweckraum holen muss. Geht es nach Anke Ziehm, stehen wir gerade im Klassenzimmer der Natur-Grundschule Taunus. Ziehm ist Religionspädagogin, systemische Therapeutin, vertritt gerade eine Kindergartenleiterin und hat sich mit Waldpädagogik befasst. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter plant sie, eine Schule im Wald zu eröffnen.
Die Idee ist am schnellsten erklärt, wenn man die Grundschule als Fortsetzung des Waldkindergartens betrachtet. Der erste wurde vor 51 Jahren in Wiesbaden gegründet, und seither gibt es eine Vielzahl solcher Angebote. Sie haben die naheliegenden Fragen, zum Beispiel wie die Kinder es selbst im Winter so lange im Freien aushalten sollen, längst beantwortet. Ähnlich wie dort soll die Waldschule eine feste Basis haben, nur etwas größer: „Ein Grundstück mit einer 45 Quadratmeter großen Hütte, einer Jurte und einem Bauwagen für die Lehrer“, sagt Ziehm. Drei Stunden am Tag könnten die Kinder draußen sein, bei gutem Wetter auch länger. In der Hütte sollten die Klassen unterrichtet werden, die Jurte sei zum Beispiel für Präsentationen oder eine Sprachwerkstatt gedacht.
Ziehm stellt sich dabei nicht die bei Pfadfindern beliebte Konstruktion aus zusammengeknüpften Zeltbahnen vor. „Sie entspricht eher einer mongolischen Jurte, 25 Quadratmeter groß und mit sechs oder sieben Stofflagen.“ Ohne dass die Schule einem einzelnen reformpädagogischen Prinzip folgt, orientiert Ziehm sich an den Ideen von Maria Montessori, Johann Heinrich Pestalozzi und seines Schülers Friedrich Fröbel. Vor allem aber soll sich das Leben in der Natur auf die Art des Lernens niederschlagen: „Rechnen lernen kann man auch mit Eicheln und Kastanien.“ Wörter finden und aufschreiben ließen sich im Wald ebenso. Bei der Wahl der Mittel zeigt sie sich offen: „Das kann bei den Jüngeren auf Schiefertafeln sein und bei den älteren Jahrgängen auf dem Tablet-Computer.“ Beginnen soll die Wald-Grundschule zunächst mit 16 bis 18 Schülern der ersten und zweiten Klasse, am Ende könnten es 40 in allen vier Klassen sein. Mittagessen und Nachmittagsangebote gehören zum Konzept.
Naturschutzbehörde redet mit
Die Sprecherin der Initiative ist durch die Erfahrung ihrer eigenen Kinder zur Gründung einer Privatschule angeregt worden. „Mein Sohn ist durch eine schwierige Schulzeit gegangen.“ Allerdings ist er inzwischen erwachsen, und das unterscheidet auch die anderen Unterstützer von ähnlichen Gruppen. „Niemand hat Kinder im schulpflichtigen Alter“, sagt Ziehm. Das verhindere, dass das Interesse schnell wieder erlahme, wenn der eigene Nachwuchs die Schule verlasse. Aus dem gleichen Grund sei an eine gemeinnützige GmbH als Träger gedacht, nicht an einen Verein. Ziehm, die nach eigenen Worten Mitstreiter mit unterschiedlichem beruflichen Hintergrund hat, rechnet mit einem Schulgeld von weniger als 450 Euro im Monat. „Wir wollen die Lehrer ja ordentlich bezahlen.“ Das sei weniger als die Gebühr für einen Krippenplatz, der hoch subventioniert werde.
Ziehm strebt an, die Schule nach der Genehmigung auch staatlich anerkennen zu lassen. Das bedeutet, dass die Kinder dort nach dem Lehrplan der öffentlichen Schulen in Hessen unterrichtet werden. „Derzeit bereiten wir das Curriculum vor und suchen auch schon nach Lehrern.“ Bis die Genehmigung durch das Schulamt beantragt werden kann, gibt es aber noch andere Hürden. Außer der Bankzusage fehlt noch ein geeignetes Grundstück. An Angeboten mangele es nicht, sagt Ziehm. „Wir haben acht bis neun in Aussicht.“ Aber wer im Wald unterrichten will, muss sich mit der Unteren Naturschutzbehörde einigen. Den konkreten Standort müsse man prüfen, heißt es beim Main-Taunus-Kreis, der für den Naturschutz zuständig, aber auch selbst Schulträger ist. Grundsätzlich sei es schön, wenn die vielfältige Schullandschaft im Kreis um neue Ideen ergänzt werde.
Ein Gespräch mit Landrat Michael Cyriax (CDU) hat Ziehm gehabt. Ebenso mit Kelkheims Bürgermeister Albrecht Kündiger (Unabhängige Kelkheimer Wählergemeinschaft), der sich offen für reformpädagogische Ansätze zeigt. Aber die Schule brauche eine feste Grundlage. Auf den Stand der Planungen können sich Eltern unter www.phoeniqs.de bringen und am Freitag, den 8. März 2019, 19.45 Uhr, beim Infoabend in der TSG-Gaststätte „Bei Marko“ in Kelkheim, Lorsbacher Straße 39.