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Gewerkschaft : „Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung droht zu scheitern“

Mehr als Kinderverwahrung: Grundschüler sind in einem Hort mit Bastelarbeiten beschäftigt. Bild: dpa

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat ausgerechnet: In Hessen fehlen 4800 Erzieher, um die Ganztagsbetreuung an Grundschulen von 2026 an garantieren zu können. Die Landesregierung sieht sich hingegen gut vorbereitet.

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          Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wirft der Landesregierung vor, sie sei nur unzureichend auf die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule vorbereitet. Der Anspruch gilt vom 1. August 2026 an zunächst für Grundschulkinder der ersten Klasse und wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet, sodass im August 2029 allen Grundschulkindern eine ganztägige Be­treuung garantiert sein muss.

          Rainer Schulze
          Redakteur in der Rhein-Main-Zeitung.

          Die GEW meint jedoch, das Bundesland drohe bei der Erfüllung des Bedarfs zu scheitern, denn die Betreuungslücke sei in Hessen besonders groß. Nur 54 Prozent der Grundschulkinder haben schon einen Ganztagsplatz, 68 Prozent der Eltern wünschen sich Umfragen zufolge ein solches An­gebot. Um den Personalbedarf zu steuern und die Qualität und Finanzierung der Betreuung am Nachmittag zu sichern, solle das Land das pädagogische Personal beschäftigen und nicht wie bisher die verantwortlichen Kommunen. Das Land Thüringen verfahre schon so und habe damit gute Erfahrungen gemacht. Dort hätten mehr als 90 Prozent der Grundschulkinder einen Ganztagsplatz.

          773 der rund 1000 Grundschulen

          Die Landesregierung sieht sich hingegen gut vorbereitet: Inzwischen ar­beiten laut Kultusministerium mehr als 70 Prozent der Grundschulen im Ganztagsprogramm des Landes. Da­mit sei Hessen für den Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter gut vorbereitet, teilt das Kultusministerium mit. Mit dem Ganztagsprogramm un­terstütze das Land die verantwortlichen Städte und Landkreise. Das An­gebot werde schrittweise weiter ausgebaut und orientiere sich am Bedarf der jeweiligen Region.

          Der Gewerkschaft zufolge bieten inzwischen 773 der rund 1000 Grundschulen in Hessen eine Ganztags­betreuung an. 283 von ihnen, das entspricht 37 Prozent, betreuen die Kinder aber nur an drei Tagen pro Woche bis 14.30 Uhr. Dieses Profil decke viele Betreuungsbedarfe nicht ab und er­fülle auch nicht die Kriterien des Rechtsanspruchs, kritisiert die Ge­werkschaft.

          Für eine Studie hat die GEW versucht, den Personalbedarf selbst zu ermitteln. Dabei sei man jedoch an Grenzen gestoßen, denn es fehlten verlässliche Angaben zu den Beschäftigten in der Ganztagsbetreuung in Hessen. Die Zahlen seien trotz erheblichen Aufwands nicht zu ermitteln ge­wesen. Die Hälfte der Schulträger habe keine Angaben gemacht, wie viele Pädagogen in der Ganztags­betreuung arbeiteten und wie sie qualifiziert seien. „Daten zur räumlichen, personellen und finanziellen Situation zum Ganztag gibt es nicht, das Ganze gleicht einer Blackbox“, kritisiert Thilo Hartmann, der Vorsitzende der GEW Hessen.

          Bedarf an zusätz­lichen Hortplätzen

          Das Kultusministerium mache es sich sehr einfach, wenn es diese Werte nicht erhebe und auf die Verantwortung der Kommunen verweise, sagt er. Der mangelnde Überblick hänge da­mit zusammen, dass die Ganztagsbetreuung von unterschiedlichen Trägern organisiert werde. Hartmann be­richtet von Wildwuchs und einem „Flickwerk von Honorarverträgen“: Viele Betreuer würden unter Tarif be­zahlt und seien scheinselbständig. Sie seien häufig nicht an die pädagogischen Prozesse der Grundschule angebunden, die Fluktuation sei hoch. „Es wäre schön, wenn man wüsste, wie viele Personen im System stecken.“

          Auf der Grundlage einer aktuellen Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts hat die GEW den voraussichtlichen Bedarf an zusätz­lichen Hortplätzen und Erziehern in Hessen abgeleitet. Demnach fehlen bis 2029 rund 49.000 weitere Hortplätze und 4800 Erzieher, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. Steigt der Elternwunsch nach einer Ganztagsbetreuung des Kindes von derzeit 68 auf 75 Prozent, wären sogar 6500 zusätz­liche Erzieher nötig. Je nach Szenario rechnet die Gewerkschaft mit jähr­lichen Personalkosten von 232 beziehungsweise 315 Millionen Euro.

          Die stellvertretende GEW-Vorsitzende Heike Ackermann bezweifelt, dass angesichts des allgemeinen Fachkräftemangels in den Kindertagesstätten überhaupt so viele zusätzliche Er­zieher für die Betreuung der Grundschulkinder gefunden werden können. Hinzu kämen bauliche Maßnahmen an den Schulen, um die räumlichen Vo­raussetzungen für eine Ganztagsbetreuung zu schaffen.

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