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Firma als Naturfreund : Eine Schafherde ersetzt den Rasenmäher

  • -Aktualisiert am

Eine kleine Schafherde sorgt dafür, dass das Gras auf dem Gelände der Spir Star AG stets gut in Form bleibt. Bild: Lucas Bäuml

Unternehmensflächen sind meist von Langeweile und Ödnis geprägt. Die Spir Star AG im Odenwald zeigt, dass es anders geht und ist dafür jetzt prämiert worden. Ihr Betriebsgelände hat mehr als eine Umbaumaßnahme hinter sich.

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          Wildbienen steuern vor der Zentrale der Firma Spir Star AG gezielt Ochsenzunge und Salbei an, die in ihren Blautönen wie aufeinander abgestimmt nebeneinander blühen. Die vielen Stauden im Beet bieten den Insekten Nektar und Pollen als Nahrung. Zwischen den Ritzen der terrassierten Steinmauern finden die Bienen zugleich Unterschlupf und Brutmöglichkeiten. „Wir brauchen keine künstlichen Insektenhotels“, sagt Ute Geyer.

          Fast zwei Jahre lang ist die Naturgartenplanerin bei dem mittelständischen Unternehmen in Rimbach-Mitlechtern (Kreis Bergstraße) in der Nähe von Heppenheim im Einsatz, um aus dem Firmengelände wieder einen Ort der biologischen Vielfalt zu machen. Die Idee dazu hatte Unternehmenschef Ruben de Graaf, als er einen Film im Fernsehen über das weltweite Insekten- und Vogelsterben sah. Er beschloss dann, vor der eigenen Haustür was zu verändern – wenn er schon selbst nichts gegen die brennenden Wälder in Sibirien oder das Abholzen der Regenwälder am Amazonas tun könne, wie er sagt.

          „Wir wollen hier der Natur etwas zurückgeben“, hat sich der Vierundvierzigjährige vorgenommen, der mit seiner Firma im Odenwald Spezialschläuche für die Industrie produziert. In Zusammenarbeit mit der Heinz-Sielmann-Stiftung machte sich dann Ute Geyer daran, rund 13.000 Quadratmeter naturnahe Fläche auf dem Firmengelände umzugestalten. Das Projekt ist inzwischen in der fünften Etappe und immer noch „Work in progress“. Doch es ist immerhin schon so eindrucksvoll, dass die Spir Star AG diese Woche als erstes Unternehmen überhaupt bei dem bundesweiten Wettbewerb „Tausende Gärten – Tausende Arten“ ausgezeichnet wurde. Das Projekt wird von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 organisiert, die dieses Jahr 200 Jahre alt wird.

          Beitrag zu mehr Diversität und Artenvielfalt

          Noch jung ist allerdings die Idee, dass neben privaten oder öffentlichen Gärten auch Unternehmen einen wichtigen Beitrag zu mehr Diversität und Artenvielfalt leisten können. Was kaum jemand weiß: Firmengelände machen in Deutschland 14 Prozent der Fläche im besiedelten Raum aus. Dort finden sich meist lediglich Zweckbauten aus Beton und versiegelte Steinwüsten, eventuell noch sterile Rasenflächen oder mit Mulch zugedeckte Beete, in denen das Wachstum von Pflanzen möglichst verhindert werden soll. Auch auf dem Gelände von Spir Star war das nicht viel anders.

          Doch inzwischen wurden unkrauthemmende Vliese aus dem Boden geholt. Mit Baggern hat die Firma Kirschlorbeerbäume entfernen lassen. Diese stammen ursprünglich aus den USA und sind nicht an die Umwelt des Odenwalds angepasst. Den Insekten bieten sie keine Nahrungsgrundlage. Gartenplanerin Geyer hat in den neu angelegten Beeten nur einheimische Pflanzen eingesät – zusätzlich hat sie Wert darauf gelegt, dass die Stauden mit dem Klimawandel und der wachsenden Trockenheit gut zurechtkommen, wie etwa Wolfsmilchgewächse oder der Natternkopf und die Königskerzen.

          Auf dem Gelände finden sich die unterschiedlichsten Terrains und Böden – auch Sand ist dabei. Überall wurde Totholz ausgebracht, um Insekten oder Fledermäuse wieder anzulocken und eine Bleibe zu bieten. Tote Äste und Zweige haben die Beschäftigten der Firma zu Hecken aufgehäuft, damit Vögel wie der Zaunkönig sich dort wohlfühlen. Ein Feuchtgraben soll Kröten und andere Amphibien wieder heimisch werden lassen. Zugleich wurden neue Obstbäume mit Äpfeln, Birnen und Quitten gepflanzt. Schließlich ist der Odenwald ja auch für seine Streuobstwiesen bekannt, die allerdings auch immer seltener werden.

          Ruben de Graaf, Vorstand von Spir Star, will der darbenden Insekten- und Vogelwelt vor dem eigenen Firmentor auf die Sprünge helfen.
          Ruben de Graaf, Vorstand von Spir Star, will der darbenden Insekten- und Vogelwelt vor dem eigenen Firmentor auf die Sprünge helfen. : Bild: Lucas Bäuml

          Spir Star hat im Gegensatz zu anderen Unternehmen in der Rhein-Main-Region einen unbestrittenen Standortvorteil: Die Firma ist in ihrem kleinen Gewerbegebiet in die Hänge und Wiesen des Odenwalds praktisch eingebettet. Doch auch die naturnahe Bewirtschaftung der Magerwiesen auf dem Firmengelände ist keineswegs ein Selbstläufer. Früher haben Landwirte dort die Wiesen gemäht und das Gras als Futter für ihre Tiere genutzt. Jetzt setzt die Firma sechs Schafe – und inzwischen fünf Lämmer – als Rasenmäher ein.

          Die gehen nicht nur viel umweltschonender mit der Natur um als Maschinen. Die Tiere nehmen in ihrem Fell auch gleich die Grassamen mit und sorgen für deren natürliche Ausbreitung. Derzeit sind die Schafe noch geliehen, sie sollen jedoch bald ganz offiziell als Firmenmitarbeiter eingestellt werden. Jetzt fehlten eigentlich nur noch Ziegen, die die üppig wuchernden Brombeerhecken stutzen könnten, meint Gartenplanerin Geyer eher scherzhaft.

          Eine Teambildungsmaßnahme ganz spezieller Art

          Die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft sieht Spir Star als „Leuchtturmprojekt“ und hofft, dass das Unternehmen möglichst viele Nachahmer finden werde. Die Auszeichnung ist zwar lediglich mit einer Urkunde verbunden, doch der Betrieb betreibt damit nicht nur Imagepflege, sondern wird auch überregional zu einem Aushängeschild. Im Juni haben sich bereits die ersten interessierten Firmen angekündigt, die sich die Neugestaltung anschauen wollen.

          Es gibt inzwischen auch andere Unternehmen in Deutschland, die angesichts von Artensterben und Klimawandel ihr Firmengelände umweltfreundlicher gestalten wollen. „Hier wurde das Projekt aber sehr schnell umgesetzt“, lobt Ute Geyer den Odenwälder Pionierbetrieb. Die Gartenplanerin kommt aus Bayreuth und ist als Beraterin in ganz Deutschland unterwegs. Spir Star, das vor 30 Jahren als kleine Firma im Rhein-Neckar-Raum anfing, hat sich in Rimbach-Mitlechtern im Jahr 2000 niedergelassen.

          Heute ist das Unternehmen mit 108 Beschäftigten Weltmarktführer für Wasserstoffschläuche. Zugleich ist die Firma aber stolz auf ihre Bodenständigkeit und den „Spirit“ in der Belegschaft. Diese Eigenschaften dürften geholfen haben, das Projekt so zügig voranzubringen. Man könne nie alle für eine Idee begeistern, sagt Firmenchef de Graaf. „Den Großteil haben wir aber mitgenommen.“ Eine „Teambildungsmaßnahme“ ganz spezieller Art hat dabei nicht gefehlt. Die Belegschaft musste einmal die ausgebüxten Schafe wieder einfangen.

          Die naturnahe Umgestaltung des Firmengeländes hat sich Spir Star nach eigenen Angaben einen hohen fünfstelligen Betrag kosten lassen. Das Unternehmen hat sich weitere ehrgeizige Ziele in Sachen Nachhaltigkeit gesetzt. Auf den Firmengebäuden sind Photovoltaik-Anlagen installiert. Innerbetrieblich wurde ein „Zukunftsteam“ gebildet. In Kooperation mit der IHK Darmstadt wird nach Wegen zum Einsparen von Energie gesucht. Im kommenden Jahr will sich die Spir Star AG für ihr Umweltmanagement zertifizieren lassen.

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