Corona-Beschlüsse in Hessen : Bouffier wie die Spinne im Netz
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Die Grünen-Minister Kai Klose (links) und Tarek Al-Wazir mit dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU, rechts) Bild: dpa
Ungleiches Machtverhältnis: In der Corona-Krise sind die Entscheidungsstrukturen im Wiesbadener Regierungsviertel auf den Regierungschef zugeschnitten. Die CDU profitiert, die Grünen werden nervös.
Anders als sonst ist die Pressekonferenz verlaufen, in der die Landesregierung die Lockerungen im Umgang mit dem Virus verkündete. Nachdem Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) die wichtigsten Punkte genannt hatte, kam Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Die Grünen) zu Wort – und sagte exakt dasselbe. Angesichts der auf ihn gerichteten Kameras wiederholte er auch die an das Volk gerichtete Ermahnung, dass Freiheit und Verantwortung einander bedingten. Damit unterstrich Al-Wazir seine staatstragende Rolle als Stellvertreter des Regierungschefs. Dass sie ihm in diesem Moment so wichtig war, zeugt von der Nervosität der Grünen.
Sie verlieren in den Umfragen und stehen in Wiesbaden beim Krisenmanagement in der zweiten Reihe. Das liegt nicht nur an der raumgreifenden Art, in der Bouffier seine Führungsrolle wahrnimmt, sondern auch an den Strukturen, in denen die Entscheidungsprozesse im Regierungsviertel neuerdings verlaufen. „Kabinettsausschuss zur Koordinierung der Corona-Krise“ heißt das Gremium, das seit Mitte März einmal täglich in einer Schaltkonferenz oder in der Staatskanzlei zusammenkommt, im offiziellen Sprachgebrauch.
Dort fallen in Zeiten der Krise alle wichtigen Entscheidungen. Den Einsetzungsbeschluss hat die gesamte Landesregierung gefasst. Sie konferiert zwar auch noch ungefähr einmal in der Woche. Aber die Musik spielt in dem kleineren Kreis, für den sich im alltäglichen Sprachgebrauch die Kurzfassung „Corona-Kabinett“ eingebürgert hat.
Das Übergewicht der Union
Beim Vergleich mit dem eigentlichen Kabinett fällt auf, dass die Gewichte der Koalitionspartner anders ausfallen. Ins eigentliche, momentan ziemlich bedeutungslose Kabinett entsenden die Ökopartei vier und die CDU sechs Politiker. Im Corona-Kabinett hingegen ist die Union neben Bouffier noch mit dem Chef der Staatskanzlei, Axel Wintermeyer, Regierungssprecher Michael Bußer, Innenminister Peter Beuth und dem Chef des Finanzressorts, Michael Boddenberg, vertreten. Diesen fünf CDU-Mitgliedern sitzen jetzt nur zwei Grüne gegenüber, nämlich Al-Wazir und Sozialminister Kai Klose.
Bislang seien alle Beschlüsse des Corona-Kabinetts einstimmig gefasst worden, stellt Bußer fest. Doch den Entscheidungen gehen Diskussionen voraus, die von der großen Mehrheit der Teilnehmer geprägt werden. Das Übergewicht der Union erhört sich sogar noch, wenn Kultusminister Alexander Lorz wegen aktueller Fragen der Schulen hinzugeschaltet wird.
Den normalen Verhältnissen entspricht das Kräfteverhältnis im Krisenstab. Er besteht aus einer operativen Runde mit Vertretern von Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz und aus einer Steuerungsgruppe. Hier kommen die Staatssekretäre zusammen. Sie tagen unter der Leitung des CDU-Ministers Beuth.
Bußer als treuer Diener seines Herrn
Außer ihm gehört noch ein weiteres Mitglied gleichzeitig dem Corona-Kabinett an, nämlich Regierungssprecher Bußer in seiner Eigenschaft als Staatssekretär. Er gilt als treuer Diener seines Herrn. Darum ist der Ministerpräsident immer auch genau darüber im Bilde, was im Krisenstab vor sich geht. Dieses Gremium musste übrigens nicht neu installiert werden. Bouffier hat es schon im Jahr 2005 etabliert, als Innenminister.
Der Unionspolitiker ist in diesem System wie die Spinne im Netz. An der Schnittstelle zum Bundeskanzleramt wird er ständig von Staatskanzleichef Wintermeyer vertreten. Der nimmt regelmäßig zusammen mit seinen Amtskollegen aus den anderen Bundesländern an Videokonferenzen mit dem aus Gießen stammenden Leiter des Kanzleramts, Helge Braun (CDU), teil.
Noch schwerer wiegt aber, dass Bouffier persönlich in der Runde der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine wichtige Rolle spielt. Damit besitzt die Union gegenüber den Grünen einen weiteren taktischen Vorteil. Die Art, wie Merkel ihr Amt wahrnimmt, scheint ein zusätzlicher Grund dafür zu sein, dass die demoskopischen Werte der Grünen so signifikant sinken.
Warum diese bundesweite Entwicklung an dem hessischen Landesverband vorbeigehen sollte, ist nicht zu erkennen. Die Ökopartei gehört zwar der Regierung an, aber die Strukturen, in denen die Entscheidungsprozesse ablaufen, begünstigen den größeren Regierungspartner.
Die „Stunde der Exekutive“ ist in Wahrheit nur die Stunde des Regierungschefs. Dessen Stellvertreter Al-Wazir muss die Beschlüsse des Corona-Kabinetts ebenso ausführen wie die anderen Minister. Davon profitieren weder der Politiker selbst noch seine Partei. So müssen die Grünen jetzt nach anderen Mitteln und Wegen suchen, um ihre Bedeutung zu unterstreichen. Ob die Koalition dieses Konfliktpotential unter Kontrolle halten kann, ist die machtpolitische Frage dieser Zeit.