Bibliotheken in Corona-Zeiten : Vom Buch zum Download
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Zwischen Buchreihen: in der Marburger Universitätsbibliothek Bild: Rainer Wohlfahrt
Die Pandemie hat auch hessische Bibliotheken verändert. Durch die Schutzmaßnahmen hat sich der Trend zum Digitalen verstetigt. Jetzt werden die Online-Zugriffe mehr und das Angebot im Web ausgebaut.
Bildschirm statt Buchseiten: Die Corona-Krise hat den öffentlichen Bibliotheken in Hessen einen deutlichen Anstieg der Online-Zugriffe beschert. „Unsere digitalen Angebote sind während des Lockdowns durch die Decke gegangen“, sagt Helga Hofmann, die sich bei der Stadtbücherei Frankfurt um das Digitale kümmert. Sieben Wochen lang war auch dort keine Ausleihe am Ort möglich. Wer sich vor der Schließung der Bücherei am 16. März nicht genügend Lesematerial, Hörbücher und DVDs gesichert hatte, konnte nur noch in der „Onleihe“ fündig werden. So nennt sich die Datenbank, aus der sich seit 2009 jeder bedienen kann, der einen Frankfurter Büchereiausweis hat. Allein im April stieg die Zahl der Ausleihen im Online-Angebot im Vergleich zum Vorjahresmonat um 37 Prozent. Sonst, sagt Hofmann, sei ein Plus von 15 Prozent im Jahresvergleich normal.
Neben der Frankfurter bieten noch 132 weitere Bibliotheken die „Onleihe“ an. Auf dem Tablet, Smartphone oder im Browser kann der Nutzer E-Books, Hörbücher, Musik und Videos herunterladen. Mit Ende der Ausleihfrist kann der Titel automatisch nicht mehr genutzt werden. Im Verbund der hessischen Büchereien mit „Onleihe“-Zugang wuchs die Nachfrage noch deutlicher. Die Zahl der Ausleihen nahm im April um durchschnittlich 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zu.
„Das war ein gewaltiger Anstieg“, sagt Eckhard Kummrow von der Hessischen Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken. Damit niemand auf die Mediennutzung verzichten musste während die Bibliotheken per Verordnung landesweit geschlossen waren, hatte der Verbund eine besondere Aktion gestartet: Vom 16. März bis zum 3. Mai durfte sich jeder Hesse unentgeltlich für die „Onleihe“ registrieren. Das Ergebnis: 13.000 neue Anmeldungen. Normalerweise zählt Kummrow pro Monat um die 2000 neue Registrierungen. „Das ist aber nicht alles. Dazu kommen noch die neuen Nutzer mit vorher vorhandenem Büchereiausweis“, sagt Kummrow.
Kein Ersatz des Trendes zum Digitalen
Damit er den Ansturm auf die „Onleihe“ bewältigen kann, überwies das Land Hessen 150.000 Euro an den Verbund, die eigentlich erst im Laufe des Jahres ausgeschüttet werden sollten. Weitere 250.000 Euro werden später verfügbar. Mit dem Geld hat der Verbund Lizenzen für Bücher gekauft. „Was viele Leser nicht wissen: Wenn 20 Leute gleichzeitig ein Buch ausleihen wollen, müssen wir 20 Lizenzen kaufen“, sagt Kummrow. Bis zu 120 Lizenzen seien je Buch nötig, damit die Wartezeiten nicht allzu lang würden. Der Vorteil im Verbund: Hier teilt man sich die Lizenzen. Jeder Nutzer einer Bibliothek, die dem Verbund angehört, kann auch alle Titel der anderen Mitglieder herunterladen. „Für besonders gefragte Titel haben wir während des Lockdowns 7000 Euro in der Woche ausgegeben“, so Kummrow.
Die physische Ausleihe ersetzt der offenbar anhaltende Trend zum Digitalen noch nicht, aber er bringt Veränderungen mit sich. „Die DVD zum Beispiel ist noch längst nicht tot“, sagt Hofmann. Verlierer sind die Bücher in den Büchereien: In ganz Hessen sanken die Ausleihzahlen von 3,4 Millionen im Jahr 2011 auf 2,8 Millionen im Jahr 2019.
Mittlerweile beträgt der Anteil digitaler Titel an den Ausleihen der meisten Bibliotheken schon zehn bis 30 Prozent. „Vermutlich werden wir in Zukunft einen größeren Anteil unserer Gelder in das Digitale investieren“, sagt Birgit Lotz, Leiterin der Zentralen Bibliotheken Frankfurts. „Das ist keine Eintagsfliege, die Kurve war immer schon ansteigend.“
„Hochfahren ist ein komplexer Prozess“
Die digitalen Angebote sind ein selbstverständlicher Teil des Portfolios öffentlicher Bibliotheken geworden. Aber Büchereien sind mehr als E-Book-Anbieter und wollen das bleiben. „Zu unserer Idee von Bibliothek gehört, dass sie ein nichtkommerzieller Ort in der Stadt ist, an dem Menschen sich aufhalten, Informationen beschaffen und sich begegnen können“, sagt Helga Hofmann. Diese Aufenthaltsqualität sei noch nicht ganz wiederhergestellt. Seit dem 4. Mai sind fünf der 18 Frankfurter Häuser wieder geöffnet: die Zentralbibliothek und die Stadtteilbüchereien in Höchst, Sachsenhausen, Rödelheim und Bornheim mitsamt Kinder- und Jugendbibliothek. „Runterfahren geht sehr schnell“, sagt Hofmann, „Hochfahren ist ein komplexer Prozess.“
Seit Anfang Juni bieten die weiterhin geschlossenen Stadtteilbibliotheken sogenannte Medienpakete an. Nutzer können sich bestimmte Titel bestellen oder eine Zusammenstellung zu einem Thema wünschen und die Bücher, Zeitschriften, Hörbücher und DVDs kontaktfrei abholen. „Fast alle Termine, die wir dafür anbieten, sind auch vergeben. Besonders beliebt ist Lesefutter für Kinder“, sagt Hofmann. Während der Sommerpause steht dieser Service allerdings nur eingeschränkt zur Verfügung, derzeit gibt es die Pakete nur in der Nordweststadt und im Dornbusch.
„Mit den Medienpaketen nähern wir uns ein wenig der Entdeckungsreise, die ein Besuch in der Bibliothek normalerweise ist: durch die Bibliothek flanieren, ein Buch suchen, fünf mitnehmen. Das können wir im Moment nicht bieten“, sagt Hofmann. Auch in den fünf geöffneten Häusern ist das nicht möglich. „Der Fokus liegt nach wie vor auf Medienausleihe und -rückgabe.“ Nur in der Zentralbibliothek seien 25 von üblicherweise mehr als 200 Arbeitsplätzen wieder verfügbar, für jeweils zwei Stunden und nach Hinterlegung der Kontaktdaten. Immerhin wird nach der Sommerpause vom 11. August an die neugestaltete Bücherei in Bockenheim zusätzlich geöffnet.
„Es ist toll, dass wir schon wieder so weit sind, noch lieber würden wir natürlich das volle Paket bieten“, sagt Hofmann. Von den Lesern sei immer wieder zu hören: Ihr habt uns gefehlt. Das beruht auf Gegenseitigkeit. „Uns haben auch die Leser gefehlt.“