Anthropologie : Immun gegen die Pest
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Barbara Bramanti auf dem Friedhof von Gau-Algesheim Bild: Institut für Anthropologie/Universität Mainz
Warum manche dem Schwarzen Tod entronnen sind, interessiert nicht nur Historiker: In Mainz will eine Anthropologin aus alten Gebeinen neue Erkenntnisse gewinnen.
Schlimm sei's ihm ergangen, dem lieben Augustin, klagt das alte Volkslied. In Wirklichkeit war der Mann ein Glückspilz. Vorausgesetzt, es stimmt, was über ihn erzählt wird. Marx Augustin, ein berühmter Sackpfeifer und Bänkelsänger, soll sich eines Abends anno 1679 in einer Wiener Gasse niedergelegt haben, um seinen Rausch auszuschlafen.
Damals grassierte die Pest in der Stadt, und Siechknechte suchten nach Opfern der Seuche, um sie in Massengräber zu werfen. Auch der wehrlose Augustin fiel ihnen in die Hände. Wieder nüchtern, fand sich der Spielmann in einer Grube wieder - inmitten von Dutzenden Pesttoten. Doch er verfiel nicht dem Wahnsinn, sondern blies auf seinem Dudelsack, bis ihm mutige Bürger zu Hilfe eilten. Und noch ein zweites Wunder wird vermeldet: Obwohl er eine ganze Nacht unter den Leichen verbracht hatte, blieb Augustin von der Pest verschont.
Resistenz gegen Pest und Cholera
Das klingt nach Gruselfolklore, aber möglicherweise hat die Geschichte einen wahren Kern, und für den interessiert sich Barbara Bramanti. Immer wieder habe es Berichte gegeben, daß Menschen dem Schwarzen Tod auf rätselhafte Weise entgangen seien, erläutert die Mitarbeiterin des Instituts für Anthropologie an der Universität Mainz. Auch sei belegt, daß Seuchen wie Pest und Cholera in der zweiten Welle einer Epidemie weniger Opfer forderten als beim ersten Ausbruch. Dies könne nicht dadurch erklärt werden, daß sich die körpereigene Abwehr auf die Erreger einstelle. Wahrscheinlich, so Bramanti, handele es sich um ein genetisches Phänomen: Manche Individuen hätten Besonderheiten in ihrem Erbgut, die sie vor diesen Krankheiten schützten.
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In ihrem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Habilitationsprojekt will die 41 Jahre alte Italienerin beweisen, daß Mutationen in zwei bestimmten Genen Resistenz gegen Pest beziehungsweise Cholera verleihen können. Zu diesem Zweck untersucht sie DNS aus den Knochen von Menschen, die mutmaßlich einer der beiden Seuchen erlegen sind. Gebeine von 230 Choleraopfern aus einer Höhle in Sizilien dienen ebenso als Forschungsmaterial wie Überreste von 189 Pesttoten, die neben einer englischen Kathedrale beerdigt wurden. Auch im rheinhessischen Gau-Algesheim hat Bramantis Team kürzlich Spuren gesichert: Dort war neben der katholischen Kirche ein Grab aus der Zeit der Pestepidemie von 1666 entdeckt worden.
Schon an den Fundstätten achten die Wissenschaftler darauf, daß die Knochen nicht verunreinigt werden. Und im DNS-Labor des Mainzer Instituts muß es so sauber zugehen wie in der Fabrikhalle eines Computerchip-Herstellers. Unter keinen Umständen dürfen die Proben mit fremder Erbsubstanz in Berührung kommen: Schließlich wollen die Anthropologen die genetischen Besonderheiten von Menschen studieren, die vor Jahrhunderten gelebt haben - und nicht ihre eigenen.
Mutationen mit positiven Nebenwirkungen
Daß manche im Grunde schädlichen Mutationen des Erbguts mitunter positive Nebenwirkungen haben, ist seit langem bekannt. Klassisches Beispiel ist jener Defekt, der zur Sichelzell-Anämie führt. Zum Ausbruch kommt diese besondere Form der Blutarmut nur dann, wenn beide Kopien des Gens, die der Mensch besitzt, verändert sind; Genetiker sprechen dann von homozygoten Trägern. Wer dagegen eine normale und eine mutierte Ausfertigung besitzt, bleibt gesund - und ist obendrein gegen Malaria gefeit. Dort, wo das Fieberleiden häufig auftritt, haben diese heterozygoten Träger einen Überlebensvorteil; entsprechend oft findet sich das Sichelzell-Gen bei den Bewohnern bestimmter Regionen Afrikas.