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Rapper Credibil : Straßenrap aus der Bibliothek

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Deutschrapper: Credibil wuchs im Frankfurter Bahnhofsviertel auf und gilt als Talent der Hip-Hop-Szene. Bild: Kaufhold, Marcus

Ein Frankfurter Rapper, der die deutschen Klassiker liest: Credibil verhilft dem oft beargwöhnten Musikstil zu Ansehen und wird dafür gefeiert.

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          Credibil? Nie gehört. Ein Rapper? Dem Herrn im Blaumann sagt das noch immer nichts. Aber er empfiehlt, einfach mal den Gang runtergehen: „Von dort höre ich manchmal Lärm.“ Auf dem Flur des Fabrikhauses im Mannheimer Gewerbegebiet stapeln sich fettige Pizzakartons und überquellende Mülltüten, die Tapete fällt von den Wänden, und das Deckenlicht geht immer wieder aus. Nach wenigen Metern hört man den Lärm tatsächlich: ein stampfender Beat, Gelächter, Stimmen. Auf einem schwarzen Ledersofa sitzt Credibil, 20 Jahre alt, seit elf Jahren Rapper, nicht eine CD verkauft, die Zukunft des deutschen Raps.

          Credibil ist ein freundlicher junger Mann, flauschiger Bart, Turnschuhe, melodiöse Stimme. Als Neunjähriger hörte er zum ersten Mal bewusst Rapmusik. Während seine Mutter in der Küche zu Missy Elliott tanzt, sitzt der junge Erol, wie Credibil mit bürgerlichem Namen heißt, vor dem Fernseher und sieht zu, wie die Videos von Bushido, Azad und Kool Savas im Fernsehen laufen. Er ist fasziniert. „Rap hat mich sofort gepackt, weil die Rapper aussahen wie ich. Dieselben schwarzen Haare, dieselbe Kultur, dieselben Probleme. Doch die fuhren ein dickes Auto und wohnten in einem großen Haus und ich nicht. Was sie hatten, wollte ich auch“, sagt Credibil, dessen Eltern aus der Türkei nach Marburg kamen.

          Stiefvater war in krumme Geschäfte verwickelt

          Er beginnt, Texte zu schreiben. Mit einfachen Haus-Maus-Reimen geht es los, auf dem Schulhof rappt er den Älteren vor, mit 14 hat er seinen ersten Auftritt auf der Kirmes. Im selben Jahr zieht er mit seiner Mutter von Marburg ins Frankfurter Bahnhofsviertel. Credibils Eltern hatten sich getrennt und die Mutter hatte einen neuen Mann in Frankfurt kennengelernt. Der verdient sein Geld mit krummen Geschäften, so erzählt es Credibil. Oft steht die Polizei vor der Wohnungstür, zweimal wird der Stiefvater auf offener Straße angeschossen. Was anderen Rappern Stoff für Gangster-Epen liefern könnte, schreckt Credibil ab: „Es ist nicht cool, wenn du morgens fünf Beamte im Wohnzimmer sitzen, wenn du nicht raus kannst, weil unten Männer auf deinen Stiefvater warten.“

          Einige von Credibils Jugendfreunden dealen heute. Er billige ihr Tun nicht, sagt der Rapper, aber ein wenig könne er sie auch verstehen: „Wie oft hat die Polizei mich an der Hauptwache schon an die Wand gestellt, um meinen Ausweis zu kontrollieren? Dabei bin ich einfach nur normal rumgelaufen.“ Credibil sagt, die Beamten behandelten ihn und ausländisch aussehende Freunde als seien sie kriminell – irgendwann würden es manche dann auch. Der junge Credibil glaubt nicht an Koks-Deals. Er sieht in seinem Viertel nur die Junkies auf der Straße liegen. Nicht Gras oder Kokain sollen ihn da rausholen, sondern seine Droge: Rap.

          „Ich will Kulturen vereinen, hoff' es ändert die Welt“

          Im Oktober 2012 stellt er den Song „Mensch“ ins Internet. Er räumt gerade die Wohnung auf, als SMS und Anrufe von Kumpels eingehen, die ihm aufgeregt mitteilen, dass er sofort auf Facebook schauen müsse. Kool Savas, der Altmeister der Reimkunst, hatte das Video zu „Mensch“ geteilt, mit den Worten: „Deutschraps Zukunft.“ Ein Ritterschlag.

          Auf dem Track „Mensch“ heißt es: „Ich will Kulturen vereinen, hoff’ es ändert die Welt / denn wenn Blut fließt, ist egal, welche Erde sie fängt / und wenn du nur zusiehst, während der Mensch sich bekämpft / ist es so gut wie, als wärst du selber kein Mensch.“ Die nachdenklichen, poetischen Zeilen passen so gar nicht zum grimmigen jungen Mann mit den kurzgeschorenen Haaren, dessen Gesicht im Video nur im Schatten zu sehen ist.

          Plattenvertrag nach Auftritt im Netz

          „Auch ich mache Straßenrap. Aber ich zeige die Kehrseite“, sagt Credibil. Könnte der Junge aus Frankfurt der von Musikjournalisten und Hip-Hop-Fans herbeigesehnte „Kanake mit Köpfchen“ sein, der die Energie der Gangstarapper mit der Technik der Lehrerkinder vereint? Einer, der zwar von der Straße kommt, aber über sie rappt, als habe er sich in der Jugend auch in Bibliotheken vergraben?

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