Projekt „Mobilfalt“ : Für mehr Mobilität auf dem Land
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Pilotprojekt in Nordhessen: Mit „Mobilfalt“ soll in ländlichen Gegenden das Privatauto einspringen, wenn der Bus nicht fährt. Bild: dpa
Wenn der Bus nicht fährt, dann kommt eben ein Auto: In Nordhessen werden private Autofahrten Teil des Busfahrplans - und das verbindlich. Das ist bundesweit einmalig.
Karlheinz Bornschier fährt zweimal pro Woche alleine mit dem Auto aus seinem Dorf Süß in Nordhessen sechs Kilometer in den Gemeindeort Nentershausen. Künftig werden wildfremde Menschen zu ihm in den Wagen steigen, denn der 61-Jährige ist einer der ersten Teilnehmer des Pilotprojekts „Mobilfalt“. Private Autofahrten werden dabei im Busfahrplan ausgewiesen - das ist bundesweit einmalig. So sollen Menschen im ländlichen Nordhessen künftig von A nach B kommen, auch wenn mal kein Bus fährt. „Ich erhoffe mir, dass damit ältere und jüngere Menschen mobiler sind. Man kommt mal raus“, sagt der Rentner.
Hessens Verkehrsminister Florian Rentsch (FDP) gab am Freitag in Sontra den Startschuss zu „Mobilfalt“ - einer Wortschöpfung aus Mobilität und Vielfalt. Und das funktioniert so: Ob Anrufsammeltaxi, Bus, Tram oder Zug - die bisherigen Angebote werden im Fahrplansystem um Autofahrten ergänzt. „Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit“ mache das Projekt einzigartig, erklärte Rentsch.
Ein Euro pro Fahrt und Mitfahrer
Denn wenn sich kein privater Fahrer findet, wohl aber ein Mitfahrer, übernimmt ein Taxi die Fahrt. So werden Mobilfalt-Fahrten - insgesamt rund 500 am Tag - im Stundentakt sichergestellt. Zum Start haben sich rund 60 Fahrer und Mitfahrer angemeldet. Der Autofahrer bekommt - unabhängig von der Zahl seiner Fahrgäste - 30 Cent pro Kilometer. Der Preis für jeden Mitfahrer beträgt pro Fahrt einen Euro.
Eine Software verbindet angebotene und nachgefragte Fahrten. Einen Gewerbe- oder Personenbeförderungsschein brauchen die Fahrer nicht, über die normale Haftpflichtversicherung sind auch die Mitfahrer versichert. Getestet wird das System in drei Gebieten Nordhessens. Wird die Testphase erfolgreich abgeschlossen, soll „Mobilfalt“ auf andere Teile Hessens ausgeweitet werden.
Eine Lösung für ländliche Regionen
Das Konzept soll den öffentlichen Nahverkehr in ländlichen Regionen ergänzen, wo immer weniger Menschen leben und es kaum noch Busverbindungen gibt. „Gerade vor dem Hintergrund der älter werdenden Bevölkerung muss Mobilität gesichert werden“, betonte der Landrat des Werra-Meißner-Kreises, Stefan Reuß (SPD).
Bundesweit gibt es bereits einige Ideen gegen ein ausgedünntes ÖPNV-Netz auf dem Land. Unter anderem in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen sind schon länger Bürgerbusse unterwegs: Ehrenamtliche Fahrer sorgen für eine ÖPNV-Ergänzung gerade in Randregionen. Zudem gibt es von Nord bis Süd viele Anrufsammeltaxis.
Ökologisch, sozial, ökonomisch
„Mobilfalt hat einen anderen Grundgedanken. Hier nutzen wir Fahrten, die sowieso da sind“, erklärt Carsten Sommer vom Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme der Universität Kassel, der das Projekt wissenschaftlich begleitet. Das Projekt habe damit eine ökologische, eine soziale und durch die Vergütung auch eine wirtschaftliche Komponente. An einem ähnlichen System werde in Bremen mit Pflege- und medizinischen Fahrten gearbeitet, berichtete er.
Der Fahrgastverband „Pro Bahn & Bus“ befürwortet das Projekt. „Es ist gut, wenn die Leute vom eigenen Auto abgehalten werden“, sagte Hermann Hoffmann vom Regionalverband Nordhessen. Die Frage sei, wie viele mitmachten und ob sich die Wünsche von Fahrer und Mitfahrer aufeinander abstimmen ließen. „Ich bin neugierig, ob das zeitlich passt“, sagte er. Skeptisch ist dagegen Thomas Schmidt vom Taxiverband Hessen. „Ich weiß nicht, was sich die Politik dabei gedacht hat. Würden Sie in ein Auto einsteigen, wo sie den Fahrer nicht kennen? Keine Frau macht das“, hebt er hervor. Ob es dadurch in der Region mehr oder weniger Taxifahrten geben wird, sei noch nicht klar. „Wir haben keine Erfahrungswerte.“