Schauspiel Frankfurt : Wir wären einander niemals begegnet
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„All our Futures“ bespielt das Schauspiel: Team Nord hat mit „Self/Love“ eine Art sakralen Raum entwickelt. Bild: Helmut Fricke
Norden, Osten, Westen: Drei Jahre lang arbeiten Frankfurter Jugendliche mit Künstlern daran, Fragen nach Identität, Zusammenleben und Zukunft künstlerisch zu stellen. Mit dem Großprojekt „All our futures“ will das Schauspiel Frankfurt Maßstäbe setzen.
Für ein erstes Mal sind sie alle ganz erstaunlich cool. Nichts zu spüren von Nervosität oder der Scheu, direkt auf Fremde zuzugehen. Nicht auf der Treppe, wo ohrenbetäubend auf blaue Metalltonnen gehauen wird und einzelne goldgewandete Jugendliche dem Publikum Auge in Auge Geschichten erzählen, mit der Bitte, sie fortzusetzen. Schon gar nicht draußen, vor dem Schauspiel Frankfurt auf dem Willy-Brandt-Platz, wo eine Schar junger Leute in orangefarbenen Warnwesten plötzlich Passanten aufmischt, sich mal hier hinlegt, mal dort ein Tänzchen wagt und die aus der Straßenbahn strömenden Menschenpulks unterbricht.
In der Panoramabar des Schauspiels hat das Künstlerteam West sein „Museum der nutzlosen Dinge“ eingerichtet. Wer es betritt, wird von jungen Leuten freundlich dazu aufgefordert, einen Gegenstand zu wählen und ihn in seinen Eigenschaften akribisch zu bestimmen, mit Maß und Waage. Wie groß? Welche Farbe? Was war er? Was könnte er werden? So bekommt einst Nutzloses eine neue Bestimmung. Anderes hingegen gab es einmal, jetzt aber ist es sinnlos oder anders sinnvoll. Ein gutes Dutzend Jugendlicher leitet die Besucher an und hilft an den einzelnen Stationen.
Ziele: eine Rieseninszenierung und die Zukunft in die Hand nehmen
Das Sachensuchen wie bei Pippi Langstrumpf war von Anfang an eine Übung beim Team West im Projekt „All our futures“. Nun ist aus dem fiktiven Museum ein Beitrag zum bislang größten gemeinsamen „Tryout“ geworden, für den sich 180 Schüler, ihre Lehrer und Betreuer sowie die zehn beteiligten Künstler im Schauspiel versammelt haben. Zum ersten Mal zeigen sie Teile von dem, was die Schüler jede Woche drei bis vier Unterrichtsstunden lang beschäftigt, auch auf der großen Bühne. Sehr souverän, gewitzt, ehrlich. In einem Jahr werden sie dort eine Rieseninszenierung stemmen.
Was wird danach aus all diesem Potential? Die Initiatoren von „All our futures“, allen voran Martina Droste, die Leiterin des Jungen Schauspiels, erhoffen sich, dass die beteiligten Jugendlichen ihre Zukunft in die Hand nehmen und ausstrahlen auf andere. Noch ein Jahr lang läuft „All our futures“, das größte Projekt am Schauspiel Frankfurt und wohl das größte Kunst- und Teilhabeprojekt, das ein deutsches Schauspiel je gestemmt hat. Rund 180 Schülerinnen und Schüler nehmen an ihm teil, aufgeteilt in je drei Teams aus drei Himmelsrichtungen der Stadt Frankfurt. Zumeist kulturell wenig versorgte Randlage, denn darum, in privilegierten Stadtteilen ein weiteres Angebot zu schaffen, geht es ausdrücklich nicht. Es geht darum, Jugendlichen zu ermöglichen, ihre eigene Zukunft zu träumen, zu entwerfen und zu bauen, ihnen die Kunst als Möglichkeit nahezubringen und darum, Phantasien nicht nur zu haben, sondern in konkrete kreative Arbeit und Perspektiven umzusetzen. Das ist einer Reihe von Stiftungen und Sponsoren eine Million Euro wert, das Abschlussprojekt noch gar nicht mitgerechnet.
Auch wenn am Ende, nächstes Jahr zu Ostern, eine große Inszenierung der Regisseurin Jessica Glause auf einen Text von Tina Müller stehen soll und beide die Arbeit der Jugendlichen schon jetzt verfolgen: Es geht weniger um dieses Ziel, sondern um einen Weg. Und selbst er ist nicht festgelegt. „Finden, wonach man nicht gesucht hat“, beschreibt Alexander Leiffheidt, Dramaturg und zusammen mit Droste künstlerischer Gesamtleiter, das Vorgehen. Das unterscheidet „All our futures“ deutlich von anderen Projekten, die kulturelle Bildung und Teilhabe mit Vorgaben verbinden.