für Frankfurt : Unternehmen spielt Tetris in der Platensiedlung
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Express-Bauweise: Die Holzmodule werden mit einem Kran auf die Häuser gebracht. Die Gerüste sind in drei bis vier Monaten wieder verschwunden. Bild: Helmut Fricke
Die berüchtigte Platensiedlung genießt in Frankfurt nicht den besten Ruf. Doch der Wohnraum in der Stadt ist knapp. Deswegen sollen die Gebäude nun „aufgestockt“ werden.
In dieser Wohnkiste ist schon alles drin: Steckdosen, Leitungen, Toilette, Dusche, Fenster und Laminat. Aber die Verbindung zum Haus fehlt noch. Der Kran hebt das vormontierte Wohnmodul an und setzt es vorsichtig auf das dritte Obergeschoss eines Hauses in der Platensiedlung. Dann wird das Holzmodul fest verschraubt. Es fehlen nur noch der Außenputz, die Küchenzeile, der Badezimmerspiegel, ein Balkon und die Möbel. Dann ist das kleine Studentenappartement fertig zum Einzug.
Mit solchen Wohnmodulen stockt die städtische Wohnungsgesellschaft ABG in der Platensiedlung auf. 19 bisher dreistöckige Häuserzeilen wachsen um zwei Etagen. 380 zusätzliche Wohnungen sollen so entstehen. Hinzu kommen, durch 15 neu zu bauende Tor- und Brückenhäuser, weitere 300 Wohnungen. Das Wohnangebot in der niedrig und locker bebauten Siedlung aus der Nachkriegszeit wird sich mehr als verdoppeln.
System mit mehreren Vorteilen
Gestern feierten ABG-Geschäftsführer Frank Junker, Planungsdezernent Mike Josef (SPD), Architekt Stefan Forster und Christian Czerny, Chef der für die Module zuständigen Baufirma Liwood aus München, das „Stapelfest“. Denn von einer Grundsteinlegung kann bei dieser Baumaßnahme keine Rede sein. Die Häuser werden zunächst mit einem Zement-Gemisch, das unter das Fundament gespritzt wird, ertüchtigt, damit sie sich durch die zusätzliche Last nicht setzen. Dann bringt ein Lastwagen die Wohnkisten, die in der Nähe in einer schnell aufzubauenden „Feldfabrik“ zusammengesetzt wurden, in die Siedlung. Dort hebt sie dann ein Kran an ihren Bestimmungsort. Die Mieter blieben in ihren Bestandwohnungen relativ unbehelligt: Neue Leitungen werden über die Fassade geführt und verschwinden später hinter Putz.
Aus Sicht der Beteiligten hat dieses System mehrere Vorteile. Der Bau geht ziemlich rasch. Die Bauzeit beträgt je Treppenaufgang nur acht bis zehn Wochen. Die erste Häuserzeile soll im Frühjahr 2019 fertig sein. In einem Jahr soll dann die ganze Siedlung um zwei Stockwerke gewachsen sein. Dann kommen freilich noch weitere Baumaßnahmen auf die Bewohner der Siedlung zu. Die Zeilenbauten werden mit weiteren Baukörpern ergänzt. Bei dieser Gelegenheit werden auch fünf Tiefgaragen mit 370 Stellplätzen unter den Grünanlagen errichtet. Komplett fertig ist das ganze Projekt erst 2023. Trotzdem ist Junker überzeugt, dass sich die Belästigungen in Grenzen halten.
Besonders wirtschaftliche Maßnahme
Czerny weist auf einen weiteren Vorzug hin: Die Holzmodule sind relativ leicht, zwei zusätzliche Vollgeschosse sind daher statisch möglich. Weil die Platensiedlung schon der ABG gehört, entstehen keine Grundstückskosten. Die gesamte Maßnahme ist deshalb besonders wirtschaftlich. Aus diesem Grund werden auch die Bestandsmieten nicht angehoben, sondern, wie während der Bauzeit üblich, vorübergehend gemindert.
Die Bewohner profitieren in mehrfacher Hinsicht von dem Projekt: In ihre Wohnungen wurden neue Fenster eingebaut, ohne Mietsteigerung. Die Mieter der Erdgeschosswohnungen erhalten, gebührenfrei, kleine Mietergärten. In der bisher eher trostlosen Nachbarschaft entstehen zwei Betreuungseinrichtungen für Kinder und entlang der Stefan-Zweig-Straße einige Geschäfte, etwa ein Gemüseladen, ein Nachbarschaftsbüro, ein Zeitungskiosk oder ein Café. „Wir sind für Vorschläge offen“, sagt Junker.
Wohnraum zur Hälfte gefördert
Der neu entstehende Wohnraum wird zur Hälfte gefördert: 30 Prozent der Wohnungen werden mit dem städtischen Mittelstandsprogramm unterstützt, das in drei Preisstufen gegliedert ist und sich an Erwerbstätige richtet, die bis zu einem Höchsteinkommen förderberechtigt sind. Bei weiteren 20 Prozent handelt es sich um klassische Sozialwohnungen.
Auch die frei finanzierten Wohnungen ohne soziale Bindung sind mit 10,50 Euro bis elf Euro pro Quadratmeter preiswert, weil beim Bau die Grundstückskosten entfallen. „Hier entsteht zu hundert Prozent bezahlbarer Wohnraum“, sagt Josef. 152 Wohnungen sind für Studenten gedacht. Diese etwa 25 Quadratmeter großen Appartements werden vom Studentenwerk verwaltet und für rund 250 Euro monatlich angeboten. Besonders bei Studenten am Campus Westend werden sie gefragt sein – er liegt nur acht Fahrradminuten entfernt.
Josef will nach diesem Vorbild weitere Siedlungen verdichten. „Wir zeigen, wie man die Siedlungen flott, qualitativ und behutsam weiterentwickeln kann.“ Im neuen Stadtentwicklungskonzept heißt es, dass auf diese Weise im gesamten Stadtgebiet 10.000 Wohnungen hinzukommen könnten. Ob sich auch der südliche Teil der Platensiedlung dafür eignet, wird derzeit untersucht.