Paul-Ehrlich-Preise für Immunologie : Weckruf für die schlafende Abwehr
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Traditionswahrer: Andrea Ablasser und Michael Reth setzen mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit das Werk Paul Ehrlichs fort. Bild: Fricke, Helmut
Was gegen eine Grippe zu tun ist, weiß unser Körper schon lange. Das Verständnis der komplexen Abwehr folgte erst viel später. Für ihre Forschung erhielten nun zwei Deutsche den für Mediziner wichtigen Paul-Ehrlich-Preis.
Immunologie sei eine seltsame Wissenschaft, sagt der Immunologe Michael Reth. Normalerweise stellten sich Forscher erst Fragen, dann experimentierten sie und gewönnen so Erkenntnisse von praktischem Nutzen. Das Verständnis der körpereigenen Abwehr habe sich auf umgekehrtem Weg entwickelt. Schon vor 2000 Jahren hätten die Chinesen erste Impf-Versuche unternommen. Wie die Immunisierung funktioniere, habe man aber erst viel später verstanden, etwa durch die Arbeiten von Paul Ehrlich, Emil von Behring und Frank Macfarlane Burnet.
Weil auch der Freiburger Universitäts-Professor Reth einen Platz in dieser Reihe von bedeutenden Namen verdient, ist er in der Paulskirche geehrt worden. Für seine Untersuchungen an menschlichen Abwehrzellen erhielt er als erster Deutscher seit 1996 den Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis, dotiert mit 100.000 Euro.
Der Antrieb für die Immunantwort
Der 1950 geborene Biologe interessiert sich für eine bestimmte Gruppe von Immunzellen, die B-Lymphozyten. Sie tragen auf ihrer Oberfläche Rezeptoren, die Antigene erkennen – Bruchstücke von Bakterien oder Viren und andere Substanzen, die auf eine Gefahr für den Organismus hinweisen können. Passt ein Antigen auf den Rezeptor einer bestimmten B-Zelle, vermehrt sie sich massenhaft. Ihre Nachkommen wandeln sich in Plasmazellen um, die Antikörper gegen den Eindringling produzieren.
Reth hat 1988 zwei Eiweiße entdeckt, die Bestandteile des Antigenrezeptors sind und dafür sorgen, dass die schlafende B-Zelle nach dem Andocken des Fremdstoffs aktiv wird. Später fand er heraus, wie die Rezeptoren auf der Zelle wahrscheinlich angeordnet sind: nicht über die Oberfläche verstreut, wie man bisher annahm, sondern in Gruppen. Nach seiner Theorie bindet sich ein Antigen-Molekül an mehrere dieser Sensoren und drückt sie auseinander. Dadurch wird ein Signal ins Innere der Zelle geschickt, das sie aufweckt.
Nutzen für Krebsforschung
In dieser Entdeckung steckt das „Potential zur nächsten Revolution“ der Immunologie, wie Reth sagte. Es gebe Hinweise darauf, dass die Rezeptoren auf Tumorzellen anders formiert seien als auf gesunden Zellen. Dieses Wissen könne neue Möglichkeiten zur Diagnose von Blutkrebs und später vielleicht zu einer wirksameren Therapie eröffnen.
Wertvoll für die Medizin sind auch die Forschungen von Andrea Ablasser. Ihre Arbeiten zum angeborenen Immunsystem haben ihr den mit 60000 Euro ausgestatteten Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Nachwuchspreis eingebracht. Ablasser, geboren 1983, gehörte zu den zehn besten Medizinstudenten ihres Jahrgangs in Deutschland. Inzwischen ist sie als Nachwuchsgruppenleiterin am Uniklinikum Bonn tätig und hat eine Assistenzprofessur in Lausanne.
Ihre wissenschaftliche Neugier gilt einem Mechanismus, mit dem der Körper Erbsubstanz von Viren und Bakterien erkennt. Alarm wird dann ausgelöst, wenn DNA oder RNA dort auftaucht, wo sie nicht hingehört, nämlich außerhalb des Zellkerns. Ablasser fand einen DNA-Sensor, der beispielsweise auf HI- und Herpesviren reagiert. Er bildet bei Kontakt mit den Erregern einen Botenstoff, der über Kanäle von Zelle zu Zelle weitergeleitet wird. Wie eine „Rohrpost“, so Ablasser, warne er die Nachbarschaft eines Infektionsherdes vor der Gefahr. Für die Heilkunde sei das Verständnis dieser Vorgänge von dreifachem Nutzen: Es könne helfen, die Immuntherapie von Krebs weiterzuentwickeln, wirksamere Impfstoffe herzustellen und die Entstehung von Autoimmunkrankheiten wie Alzheimer, Rheuma und Diabetes besser zu erklären.