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Arbeitgeber Opel : Aus der Lehrwerkstatt bis in die Chefetage

Handarbeit: Unter Aufsicht eines Lehrherrn mit gezwirbeltem Bart lernten diese jungen Opelaner vor 115 Jahren den Beruf des technischen Zeichners. Bild: Unternehmen

Seit 150 Jahren bildet Opel Lehrlinge aus. Einige der Nachwuchskräfte haben es im Betrieb ganz nach oben geschafft. Michael Eiermann zählt zu ihnen.

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          Mit dem Beruf ist es wie mit der Liebe: Ganz dem Herzen zu folgen kann kein Fehler sein. Schließlich bleiben die meisten ihrer Arbeit mindestens so lang treu wie ihrem Partner. Für Michael Eiermann hat es sich dagegen ausgezahlt, gerade nicht dem Herzen gefolgt zu sein. „Ich habe nie vorgehabt, zu Opel zu gehen“, sagt er. Viel lieber wollte er den Radio- und Fernseh-Betrieb seines Vaters übernehmen. Und Eiermann bewarb sich, nachdem sich diese Möglichkeit zerschlagen hatte, bei der Post. Doch die sagte ihm ab - ohne Begründung, wie er sagt. Dafür kann er dem damaligen Staatskonzern längst dankbar sein, ohne diese Absage wäre er niemals zum zweiten Mann im Stammwerk des Autobauers in Rüsselsheim aufgestiegen. Nichts anderes bedeutet die Position des Fertigungsdirektors, die der frühere Lehrling innehat.

          Thorsten Winter
          Korrespondent der Rhein-Main-Zeitung für Mittelhessen und die Wetterau.

          Andere wie Ferdinand Beickler und Hans Mersheimer, die auch ganz unten anfingen, haben es auf der Karriereleiter in Rüsselsheim sogar noch ein paar Stufen weiter hinauf geschafft. Beickler fing 1937 bei Opel an und leitete von 1966 an die Bochumer Werke, bis er 1970 zum Vorstandsmitglied und 1982 zum Opel-Chef berufen wurde. Der Schlosser Mersheimer arbeitete sich zum Chefingenieur hoch und war für die Entwicklung der erfolgreichen Oberklasse-Modelle Admiral, Diplomat und Kapitän verantwortlich. Als sie Opel prägten, war Eiermann noch im Schüleralter. Und dass er einmal in leitender Position für die deutsche General-Motors-Tochter tätig sein würde, davon war noch längst nicht die Rede, als er Anfang September 1978 durch das Hauptportal von Opel schritt. Durch das Tor, in dessen Nachbarschaft Adam Opel in Bronze gegossen seit 1937 überlebensgroß Wind und Wetter trotzt - und die Opelaner täglich an die Leistung des Firmengründers erinnert. An jenem Tag trat Eiermann die Lehre zum Energieanlagenelektroniker an. Der erste Tag sei ein Schock gewesen. „Ich war zuvor nie in einem so großen Betrieb gewesen“, erinnert er sich.

          Michael Eiermann hat bei Opel Energieanlagenelektroniker gelernt und ist mittlerweile Fertigungsdirektor in Rüsselsheim.
          Michael Eiermann hat bei Opel Energieanlagenelektroniker gelernt und ist mittlerweile Fertigungsdirektor in Rüsselsheim. : Bild: Unternehmen

          Ein geldwerter Tipp für Eiermann

          Doch der Schock wich bald der Freude an der Arbeit. Eiermann stellt seinem Lehrherrn ein erstklassiges Zeugnis aus: „Die Ausbildung hat extrem viel Spaß gemacht.“ Für Elektroarbeiten habe er sich schon als Jugendlicher im Betrieb des Vaters begeistert - Metallarbeiten, Drehen und Schweißen aber seien für ihn neu gewesen. Opel vermittelte ihm jedoch in der Ausbildung so viel Freude daran, dass er viel für das Leben lernte und sich privat eine Drehbank zulegte: „Bis auf Gas-Installationen kann ich alles.“

          Seine Ausbilder kamen aus der Kriegsgeneration: zackige Männer, die vielleicht etwas strenger waren als ihre Nachfolger, die heutzutage den Nachwuchs ausbilden. Aber sie waren „gute Ausbilder“, wie Eiermann hervorhebt. Er kam in die aus seiner Sicht beste Abteilung, die Elektronik. „Wir haben alles repariert, was damit zu tun hatte - das war das, was ich wollte.“ Gleichwohl reifte in dem jungen Mann der Gedanke an ein Studium. Ein Geselle brachte ihn auf den Gedanken, sich bei Opel um ein Stipendium zu bewerben - ein geldwerter Tipp, wie sich zeigen sollte. Auf kariertem Papier bewarb Eiermann sich bei der Personalabteilung, wie er erzählt, und hielt kurz darauf die Zusage in der Hand: „Ich konnte es nicht fassen.“ So nahm er Mitte der Achtziger sein Elektrotechnik-Studium auf; als er im letzten Semester war, wurde sein erster Sohn geboren. Zurück bei Opel sollte er als Elektriker ins Presswerk. „Oh, nee“ sei sein erster Gedanke gewesen - und eine Stelle als Betriebsingenieur im Hochregallager die einzige Option. Er stellte sich vor und bekam den Job. „Der Chef hat nur gefragt: Haben Sie Geschwister?“ Er bejahte, was sein Gegenüber als Ausweis von Durchsetzungsvermögen interpretierte.

          Mit Schutzbrille verchromten auch Auszubildende von Opel etwa Radkappen mit dem Blitz in der Mitte.
          Mit Schutzbrille verchromten auch Auszubildende von Opel etwa Radkappen mit dem Blitz in der Mitte. : Bild: Unternehmen

          Eiermann brachte das zuvor notleidende Lager zum Laufen, bevor er ins Entwicklungszentrum kam, in dem er die Entwicklungsprozesse beschleunigen sollte. In den Jahren danach übertrug Opel ihm alle paar Jahre eine neue Aufgabe. So leitete Eiermann von 2003 an die Fertig-Endmontage im Rüsselsheimer Montagewerk „Leanfield“ („eine der größten Herausforderungen“). Im Anschluss sollte er für sechs Monate in das Motoren- und Getriebewerk nach Kaiserslautern gehen, das flottgemacht werden sollte - für den Verkauf. Er blieb aber drei Jahre und das Werk ein Teil von Opel. Während er aufwärtsstrebte, nahm die Firma den umgekehrten Weg: Als Opel vor sechs Jahren tief in die Krise fuhr, wurde auch er nachdenklich: „Es war das erste Mal, dass ich mich fragte, was werden wird.“ Zum Glück brachte das Mittelklassemodell Insignia Rüsselsheim den Erfolg zurück, im Verlauf rückte Eiermann auf seine jetzige Position auf. „Ohne ihn läuft kein Auto vom Band“, sagen Stimmen, die es wissen müssen. Er selbst sagt rückblickend: „Ich war schon in der Ausbildung mit Herzblut dabei.“ Auch wenn sein Herz ihm zunächst etwas anderes gesagt hatte.

          Zum Festakt kommt auch der ehemalige Lehrling Norbert Blüm

          Nach dem Volksschulabschluss lernte Norbert Blüm von 1949 bis 1952 bei Opel in Rüsselsheim den Beruf des Werkzeugmachers. Später betrieb das CDU-Mitglied als Bundesminister die Einführung der Pflegeversicherung und prägte den legendären Spruch „Die Rente ist sicher“ - heute nun kehrt Blüm an den Ort seiner Lehre zurück: Opel feiert am Stammsitz 150 Jahre Ausbildung im Unternehmen. Zu den Ehrengästen, die von Konzernchef Karl-Thomas Neumann und Personalvorstand Ulrich Schumacher empfangen werden, zählen auch Bundesarbeitsministerin Andreas Nahles (SPD) und Hessens Kultusminister Ralph Alexander Lorz (CDU).

          Als Ort für die Feier hat der Autobauer sein 1999 eröffnetes Bildungszentrum auf dem Betriebsgelände ausgewählt, in dem sich mehr als 40 Mitarbeiter aus verschiedenen Berufen um den Nachwuchs kümmern. Eingebettet in den Festakt sind Führungen, in deren Verlauf die Gäste Einblicke in Berufe wie den des Kraftfahrzeug-Mechatronikers gewinnen können, der sich aus dem alten Beruf des Automechanikers entwickelt hat.

          Opel bildet derzeit in seinen deutschen Werken 700 junge Männer und Frauen aus; am Stammsitz zählt das Unternehmen 150 Lehrlinge. Etwas mehr als 130 von ihnen lernen Mechatroniker; beliebter ist kein Ausbildungsgang bei Opel. An zweiter Stelle folgt die Lehre zum Industriemechaniker, die in diesen Tagen knapp 130 Auszubildende durchlaufen. Für den Beruf Elektroniker für Betriebstechnik und jenen des Kraftfahrzeug-Mechatronikers haben sich jeweils 70 Jung-Opelaner entschieden. Alles in allem bietet Opel 21 Ausbildungsgänge an sowie kooperative Studiengänge in den Fächern Betriebswirtschaft, Engineering, Elektrotechnik, Informatik und Wirtschaftsinformatik.

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