Öko-Anbau : Lehrjahre eines Biobauern
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Ernten im digitalen Wandel
Um die vielen Unkräuter zwischen den Baumreihen ohne Chemieeinsatz zu entfernen, braucht er spezielle Maschinen und Mitarbeiter, die sie bedienen können. Vor der Umstellung auf Bio arbeiteten Senckenbergs Eltern, zwei Festangestellte sowie zwei Saisonarbeiter auf den Feldern. Heute bewirtschaften fünf Festangestellte, sechs Saisonarbeiter und ein Lehrling die Äcker. Bio bedeutet mehr Handarbeit und mehr Personaleinsatz.
Beim Blick auf die wuchtigen Maschinen mit ihren unübersehbar vielen Hacken mag man glauben, dass sie auf den Äckern so gut wie nichts stehen lassen. Doch weit gefehlt: Die rund 50.000 Euro teure und kameragesteuerte Maschine, die sich die Landwirte gegenseitig ausleihen, kann Kulturpflanzen erkennen. Sie schont diese und reißt nur Unkräuter heraus. Senckenberg fährt von einem Feld zum nächsten, um zu sehen, welche Hackmaschine für welche Kulturpflanze eingesetzt werden kann. Als eine nach wenigen Metern so voller Wurzelunkräuter hängt, dass sie nicht weiterfahren kann, wird eine andere, die eigentlich Erde aufhäufeln soll, als Unkrautentferner zweckentfremdet. Das dauert. Ein konventionelles Zuckerrübenfeld dagegen wird pro Saison drei- bis viermal gegen Unkraut gespritzt.
In diesem Jahr klappe es schon besser mit dem maschinellen Unkrautentfernen, sagt der Biobauer und zeigt stolz auf das Zuckerrübenfeld. Zwar entdeckt er auch Hirse, Malve, Wegeknöterich und Ackerwinde, die dort nichts zu suchen haben, doch längst nicht so häufig wie im Jahr zuvor. „Landwirte, die seit Jahrzehnten ökologisch wirtschaften, gehen entspannter mit allem um, vielleicht bin ich noch zu konventionell geprägt“, sagt Senckenberg.
Übriggebliebenes Unkraut muss per Hand entfernt werden. Von April bis Juni 2018 arbeiteten auf einem neun Hektar großen Zuckerrübenfeld mehrere Männer mehr als 1800 Stunden lang. „Das war alles andere als wirtschaftlich und ein teures Lehrgeld. Die Zuckerrübe wird im Bioanbau wieder zur absoluten Sonderkultur, also kosten- und arbeitsintensiv“, sagt der Landwirt.
Biowelt ohne Rumänen und Bulgaren nicht möglich
Auch in diesem Sommer stehen wieder Männer mit Harken auf den Feldern. Doch sie brauchen nur knapp die Hälfte der Zeit. Doch wer will die harte Arbeit, an manchen Tagen bei 45 Grad in der Sonne, machen? „Ohne Rumänen und Bulgaren ist die schöne deutsche Biowelt gar nicht machbar“, stellt Senckenberg klar. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 9,19 Euro pro Stunde, doch der Markt diktiere die Preise, und daher zahle er mehr.
Verbraucher legten in Umfragen großen Wert auf ökologisch erzeugte Produkte. Doch tatsächlich schauten die Deutschen beim Lebensmittelkauf vor allem auf niedrige Preise. „Bio ist aber sehr viel aufwendiger und daher teurer.“ Aus Verbrauchersicht seien Bioprodukte daher eher unattraktiv. Hessen strebt dennoch einen Öko-Anteil in der Landwirtschaft von 25 Prozent bis 2025 an. „Hier geht es nur um den politischen Willen – Vermarktung ist aber keine Planwirtschaft. So viele Umsteller auf Bio in so kurzer Zeit kann der Markt eigentlich gar nicht aufnehmen“, kritisiert Senckenberg, der wegen des Waren-Überangebots sinkende Preise erwartet. „Ich muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Situation für Biolandwirte in den nächsten Jahren sehr schwierig wird.“
Inzwischen hat eine vom hessischen Umweltministerium vorgelegte Gefährdungsbeurteilung ergeben, dass von der Dikegulac-Belastung des Spinats keine „akute Gesundheitsgefährdung“ ausgehe. Das ist vielleicht eine gute Nachricht für Verbraucher, doch Senckenberg hilft das nicht mehr – den Schaden ersetzt ihm niemand. Für Senckenberg ist das frustrierend: „Es ist sehr schwer, in einer industriell entwickelten und stark bewohnten Region wie dem Rhein-Main-Gebiet Bioprodukte herzustellen. Vor allem dann, wenn sie so wenige Kontaminanten aufweisen sollen, als wären sie auf einer Allgäuer Bergwiese produziert worden.“ Würde er also nicht mehr auf Bio umsteigen? Er schaut nachdenklich, wirkt dann aber entschlossen. „Der wirtschaftliche Erfolg ist im konventionellen Anbau besser steuerbar. Biolandbau ist eine enorme Herausforderung. Aber nein, ich bereue es nicht.“