Ortsvorsteher Stefan Jagsch : NPD-Eklat wirft Schlaglicht auf rechte Szene in Hessen
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Stefan Jagsch hat seine geplante Absetzung kritisiert und bereits eine Klage dagegen angekündigt. Bild: dpa
Die Wahl eines NPD-Politikers zum Ortsvorsteher eines Dorfes in Mittelhessen hat für einen bundesweiten Aufschrei gesorgt. Es ist nicht das erste Mal, dass die rechtsextreme Partei in dieser Region für Schlagzeilen sorgt.
Die nächste Sitzung des Ortsbeirates von Altenstadt-Waldsiedlung wird voraussichtlich ungewöhnlich viele Beobachter haben. Nach der bundesweiten Empörung über die Wahl des NPD-Politikers Stefan Jagsch zum Ortsvorsteher soll dieser am 22. Oktober wieder abgewählt werden. Geschehen soll dies im Gemeinschaftshaus des Örtchens, wo die erwartete große Zahl von Zuschauern Platz findet. Zugleich soll eine CDU-Politikerin zur neuen Ortsvorsteherin bestimmt werden. Der politische Schaden soll dadurch begrenzt werden und die kleine Wetterau-Gemeinde wieder zur Tagesordnung übergehen.
Doch es wird wohl etwas hängen bleiben. Die kleine Wetterau-Gemeinde wird häufiger als bisher mit dem Vorwurf konfrontiert werden, zu Hessens braunen Flecken zu gehören. Auch wenn Bürgermeister Norbert Syguda (SPD) unlängst in der „Wetterauer Zeitung“ und „Frankfurter Rundschau“ betonte: „Altenstadt unterscheidet sich nicht von anderen Kommunen“. Zehn Prozent NPD-Wähler seien zu viele, sagte er mit Blick auf das Ergebnis der Kommunalwahl 2016. „Aber die wollten keine Nazi-Partei wählen, sondern ihren Protest ausdrücken.“
Zentrum der rechten Szene in Hessen
Mittelhessen, wo Altenstadt liegt, gilt als ein Zentrum der rechten Szene im Bundesland. Hier kommt es immer wieder zu Demos, Treffen oder Flugblattaktionen von Neonazis. Und hier kann die rechtsextreme NPD auf lokaler Ebene Erfolge verbuchen: Seit der Kommunalwahl sitzen NPD-Vertreter unter anderem in den Parlamenten von Altenstadt, Büdingen, Wetzlar und Leun.
Landesweit spielt die Partei dagegen keine Rolle. Bei der Landtagswahl 2018 erreichte sie gerade einmal 0,2 Prozent der Stimmen. Experten erklären das vergleichsweise gute Abschneiden der Partei in Mittelhessen auch damit, dass einige ihrer Protagonisten in der Region zu Hause sind, sich für ihre Orte engagieren - und dann nicht mehr als NPD-Politiker wahrgenommen werden.
Insgesamt geht das Landesamt für Verfassungsschutz von 1475 Rechtsextremisten in Hessen aus, wie aus dem Bericht für das Jahr 2018 hervorgeht. Davon gelten 680 als gewaltorientiert. Die Zahlen seien zwar gegenüber dem Vorjahr weitgehend konstant, schreiben die Verfassungsschützer. Doch sie sehen gerade in der Neonazi-Szene, die durch meist regional lose strukturierte Gruppierungen geprägt ist, eine hohe Gewaltbereitschaft.
Mord an Walter Lübcke
Erst vor wenigen Monaten kam es in Hessen zu Gewalttaten, die einen mutmaßlich rassistischen oder rechtsextremen Hintergrund haben. Anfang Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Wolfhagen erschossen. Der Generalbundesanwalt geht von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Im Juli feuerte ein Mann in Wächtersbach (Main-Kinzig-Kreis) aus rassistischen Motiven Schüsse auf einen Eritreer ab und verletzte diesen schwer.
Nach den Taten kam die Frage auf, wie rechts Hessen eigentlich ist. Extremismusexperte Benno Hafeneger befand dazu vor kurzem, dass es nicht mehr oder weniger rechtsextrem sei als andere Bundesländer. Das sei ein gesamtdeutsches Phänomen. „Hessen ist da kein Ausreißer.“
Dass allerdings ein NPD-Funktionär - Jagsch ist stellvertretender Landeschef der Partei - zum Ortsvorsteher gewählt wird, das ist schon ein einmaliger Vorgang. Nach dem von Vertretern von CDU, SPD und FDP gemeinsam getragenen Votum im September reichte die Empörung von „Schande“ bis „Blackout der Demokratie“. Angesichts des öffentlichen Drucks ruderten die Ortsbeiratsmitglieder zurück und stellten einen Abwahl-Antrag. Der NPD-Politiker hat seine geplante Absetzung kritisiert und bereits eine Klage dagegen angekündigt.
„Legitimität heißt Anerkennungswürdigkeit.“
Aus Sicht der Politikwissenschaftlerin und Demokratieforscherin Susanne Pickel ist die Abwahl legitim. „Wenn ich die NPD demokratisch, durch eine freie, faire, geheime und unmittelbare Wahl in ein Gremium wähle, wird die NPD dadurch nicht zu einer demokratischen Partei.“ Die Professorin von der Universität Duisburg-Essen verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Partei als im Grunde verfassungsfeindlich eingestuft hat. Das sei bekannt und hätte auch in Waldsiedlung bekannt sein müssen.
Die Wahl von Jagsch sei nach den formalen Kriterien der Demokratie zwar korrekt, so Pickel. Man könne einen Amtsinhaber aber abwählen, etwa wenn er an Rückhalt und Mehrheit verliere oder ein Fehlverhalten vorliege. „Korrekturen sind vorgesehen in der Demokratie“, betont die Politikwissenschaftlerin.
Zudem gebe es das Prinzip der Legitimität. „Legitimität heißt Anerkennungswürdigkeit.“ Und da sieht die Forscherin ein Problem: Die Legitimität sei zweifelhaft, wenn ein gewählter Amtsträger wie in diesem Fall aus einer Partei komme, „von der sehr wohl bekannt ist, dass sie dem demokratischen Gedanken und dem, was die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer freiheitlichen-demokratischen Grundordnung verkörpert, zumindest abgeneigt ist“.