Neonazi-Szene : Suche nach dem richtigen Gedenken
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Fast fünf Jahre ist es her, dass Halit Yozgat von Mitgliedern einer Neonazi-Zelle getötet worden ist. Jetzt suchen die Hinterbliebenen nach einem gerechten Ort des Gedenkens. Bild: dpa
In Kassel ermordeten die Zwickauer Neonazis vor sechs Jahren Halit Yozgat. Sein Vater will, dass die Straße, auf der die Tat geschah, nach seinem Sohn benannt wird.
Die Stadt streitet.
Vor dem Haus mit der Nummer 82 hält ein Lieferwagen, der Cousin des Ermordeten steigt aus und trägt Möbel in den Laden, in dem alte Dinge auf eine neue Geschichte warten. „An- & Verkauf Waren aller Art“ steht draußen an der Fassade, und drinnen, in einem verdunkelten Raum, liegen Videokassetten und alte Telefone; in einem Regal lagert ein Kaffeeservice, darunter eine Nähmaschine, darüber ein Bügeleisen. Mittendrin steht der Cousin und sucht nach Worten.
Er zeigt auf seinen Kopf und sagt in brüchigem Deutsch: „Viele Leute immer fragen, Familie viel denken.“ Er schlägt die Hände zusammen; und dann will er seine Geschichte schnell beenden. „Kopfschmerzen“, sagt er, „keine Fragen mehr.“ Vor drei Jahren hat er in diesem Haus einen Laden für Trödel aufgemacht und Leben zurückgebracht an diesen Ort, an dem es drei Jahre lang still war. Der Tag, mit dem die Leere kam, war der 6. April 2006: Halit Yozgat saß hinter dem Tresen seines Internetcafés, als zwei Kopfschüsse ihn töteten.
Wir bitten um Mithilfe
Zwischen der Tat und ihrer Aufklärung liegen sechs Jahre, in denen viele Gerüchte erzählt und viele Gründe erdacht wurden: Familienfehden, Drogendelikte, Mafiakriege. Eine Antwort hatte niemand, auch die Polizei nicht, doch in der Nachbarschaft legten sie sich Theorien zurecht, wie es gewesen sein könnte. Seit November vergangenen Jahres ist klar, dass Halit Yozgat kein Krimineller war, sondern ein Opfer, das neunte einer Mordserie an Zuwanderern. Die Killer kamen von der rechtsextremen Terrorzelle, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte. Seitdem suchen sie in Kassel an der Holländischen Straße nach Gründen, warum es ausgerechnet ihn traf: Halit Yozgat, 21 Jahre alt, Sohn türkischer Einwanderer, der in dem Haus mit der Nummer 82 geboren wurde.
Die Familie, sagt der Cousin, braucht jetzt eine Pause. Der Vater, sagen die Freunde, braucht Ruhe. Früher machte er oft Späße, erzählen sie, doch sein Lachen haben sie seit Monaten nicht gehört, und einige haben ihn lange nicht gesehen und dann erst wieder im Fernsehen. Das war vor drei Wochen, Ende Februar, bei einer Gedenkveranstaltung in Berlin für die Opfer der Terrorzelle. Erst sprach die Bundeskanzlerin, dann trat Ismail Yozgat ans Rednerpult. Auf Türkisch sagte er: „Wir als Familie möchten die Holländische Straße gerne in Halit-Straße benennen lassen. Wir bitten um Mithilfe.“ Im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt rührte er damit viele zu Tränen, die Integrationsbeauftragte des Bundes, Maria Böhmer, sprach sich für die Halit-Straße aus, die CDU-Fraktion in Kassel dagegen - und an der Holländischen Straße diskutieren sie seither über den Vorschlag.
„Das ist keine Entscheidung, die wir in Eile treffen“
Es würde ihm helfen, Halits Namen auf dem Straßenschild zu lesen, sagt ein Bekannter der Familie. Es könnte ihm weh tun, Halits Namen auf dem Straßenschild zu lesen, sagt ein anderer. Würde jemand das Schild verschandeln, könnte es ihm noch mehr weh tun, sagt ein Dritter. Alle geben sie Antworten im Konjunktiv, auch der Oberbürgermeister von Kassel formuliert vage. Einen der wenigen Sätze, den er im Indikativ sagt, beginnt der SPD-Politiker Bertram Hilgen mit einer Frage: „Wie gelingt es uns am besten zu erinnern? Das ist keine Entscheidung, die wir in Eile treffen.“
Es soll eine „geeignete Form des Gedenkens und Mahnens“ gefunden werden, hat die Stadtverordnetenversammlung einstimmig beschlossen. Es werde nachgedacht über das „verbindende Erinnern“, sagt Hilgen. Er hat die Oberbürgermeister der anderen Städte, in denen es Opfer gab, angeschrieben. Vielleicht, sagt er, könnten sie ein Mahnmal an allen Orten aufstellen, auf dem dann jeweils die Namen von sämtlichen Ermordeten stünden. „Damit könnten wir zeigen: Die Tat war nicht singulär, das war eine Mordserie, das hätte eine zusätzliche Dimension.“