Hass im Netz nach Wächtersbach : Pietätlos und ohne Mitgefühl
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Nach Mordversuch: Mahnwache in Wächtersbach gegen Rassismus. Bild: Reuters
Der Mordversuch in Wächtersbach führt vermehrt zu Hassattacken im Netz: Während einige Nutzer versuchen, den Vorfall zu relativieren, gehen andere einen Schritt weiter und greifen dabei auf eine beängstigende Rhetorik zurück.
Nach dem Mordversuch an einem Eritreer in Wächtersbach füllen sich die Kommentarspalten im Netz. So zum Beispiel auf der Facebook-Seite des Online-Magazins „Vorsprung“ aus dem Main-Kinzig-Kreis. „Kein Platz für Rassismus!“ steht in einem Beitrag zur Mahnwache gegen Ausländerfeindlichkeit und Gewalt am Dienstagabend in Wächtersbach. Die überwiegende Zahl der Nutzer versieht den Beitrag mit einem „Gefällt mir“. In den Kommentaren offenbart sich jedoch ein ganz anderes Bild: Eine große Mehrheit der Wortmeldungen zeigt keinerlei Anteilnahme für das 26 Jahre alte Opfer. Eine Nutzerin zieht gar in Zweifel, ob es die Schüsse überhaupt gegeben hat. Den Grund für die Berichterstattung vermutet sie im medialen Sommerloch.
Diese Nutzerin stammt dem Profil nach aus der Region. Das zeigt, dass nicht nur „Trolle“ aus aller Welt den Fall in einer zweifelhaften Weise kommentieren, also Nutzer, die ständig auf Provokationen setzen. Ein Mann, der wohl ebenfalls nicht weit vom Tatort entfernt wohnt, veröffentlichte in der Kommentarspalte ein Bild mit dem Text: „Sicherheitshalber sperre ich meinen Kommentar selbst.“ Das Wort „Zensiert!“ darunter suggeriert, dass er glaubt, sich nicht frei äußern zu dürfen. Auf seinem persönlichen Facebook-Profil sieht man, dass ihm die Seiten von AfD- und NPD-Verbänden in der Region und von außerhalb gefallen. Darunter ist auch die Seite von Alice Weidel, der AfD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag.
Whataboutismus
Dem Augenschein nach hat der Mann keinen Grund zu dieser Annahme. Auch andere Nutzer äußern ihre Meinung frei: „Wenn es ein Deutscher gewesen wäre, hätte es keinen interessiert“, schreibt ein Mann, der offenbar wenige Kilometer von Wächtersbach entfernt wohnt. Auf der Facebook-Seite der „Gelnhäuser Neuen Zeitung“ zeigt sich ein ähnliches Bild. Der beliebteste Kommentar unter einem Beitrag zur Mahnwache stellt den Vergleich zu einem Fall in Voerde her: „Was ist mit der Frau die durch eine Männerhand zu Tode kam?“ In dem niederrheinischen Ort soll ein Mann mit serbischen Wurzeln eine Frau vor einen einfahrenden Zug gestoßen haben. Ob die Nutzerin echt ist, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Aber sie erhält zustimmende Kommentare, teilweise auch von Menschen aus der Nähe von Wächtersbach.
Auf der Facebook-Seite von Thorsten Stolz (SPD) sieht es auf den ersten Blick anders aus. Der Landrat des Main-Kinzig-Kreises hatte an der Mahnwache teilgenommen. „Toll“, schreibt ein User. „Ich bin froh um jeden einzelnen Bürger der heute auf dieser Straße war“, meint eine andere Nutzerin.
Doch der Schein trügt. Der Landrat hat schon einige Kommentare von seiner Seite gelöscht. „Was in den letzten Tagen auf manchen Seiten zu lesen war, ist beschämend und beängstigend zugleich“, sagt Stolz dieser Zeitung. „Mir macht das Sorge.“ Wie selbstverständlich werde der Aufruf von Lynch- und Selbstjustiz von anderen beklatscht, teilweise unter Klarnamen. Die Lücke zwischen Worten und Taten werde immer kleiner, wie der Mord am Regierungspräsidenten und CDU-Politiker Walter Lübcke in Kassel gezeigt habe.
Pietätloser Umgang mit dem Vorfall
Auch an anderer Stelle zeigen sich Nutzer pietätlos. Ob sie echt sind, ist nicht immer klar. Wenn ein Deutscher sterbe, werde nicht berichtet, behauptet einer: „Das ist für mich linke Hetze.“ Auf Twitter ähneln einige Tweets den Kommentaren auf Facebook. Sie sind zwar weniger an der Zahl, aber teilweise noch aggressiver in der Wortwahl. „Man könnte fast vermuten, die Journaille hätte fast darauf gewartet, dass ,so was‘ endlich mal wieder passiert“, schreibt jemand. Ein anderer meint: „Aber wehe es findet mal ne Mahnwache in Chemnitz statt!!“ In Chemnitz hatten im vergangenen Jahr rechtsextreme Gruppen zu einer Demonstration aufgerufen, nachdem ein Mann auf einem Stadtfest mit einem Messer tödlich verletzt worden war.
Einige Kommentatoren nutzen die Grauzonen im Internet aus. In Deutschland, schreibt einer, würden Frauen und Mädchen von Migranten getötet und vergewaltigt: „Es wird Zeit zu handeln ...“ Der Nutzer deutet damit eine Drohung an, ohne sich strafbar zu machen.
Nicht zu übersehen ist aber, dass viele Menschen dem niedergeschossenen Eritreer ihre Solidarität zeigen. Auch in den Kommentarspalten im Netz. In Wächtersbach waren am Dienstagabend mehrere hundert Menschen auf die Straße gegangen, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Bei dieser Gelegenheit kam der Bürgermeister von Wächtersbach, Andreas Weiher (SPD), auf den Hass im Netz zu sprechen. Er sei fassungslos, sagte er. Die Verfasser hätten keinen Respekt vor einem Menschenleben und träten das Grundgesetz mit Füßen. Die Botschaft dieser Mahnwache könne nur lauten: „Wir sind stärker, und wir bleiben stark.“