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Mehr Bürgerbeteiligung in Darmstadt : Auf dem Weg zu einer neuen Beteiligungskultur

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Stadt in Bürgerhände: Mehr politische Beteiligung wünscht sich eine Initiative der Darmstädter Stadtverordnetenversammlung. Bild: Fricke, Helmut

Darmstadt hat schon einige Erfahrung mit Bürgerbefragungen. Nun will die Stadt Qualitätsstandards und klare Spielregeln dafür schaffen.

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          Bürger stärker an politischen Entscheidungen beteiligen – das ist Ziel einer Initiative der Darmstädter Stadtverordnetenversammlung. Deren Mitglieder haben mit großer Mehrheit am Donnerstag beschlossen, in einem aufwendigen Verfahren zusammen mit Vertretern der Verwaltung, gesellschaftlicher Institutionen und Bürgern „Leitlinien zur Bürgerbeteiligung“ zu erarbeiten. Sie sollen bis Ende des Jahres formuliert sein und dann in einer Bürgerwerkstatt zu Diskussion gestellt werden. Die Leitlinien, so heißt es in der Magistratsvorlage, werden Qualitätsstandards und Spielregeln zur Beteiligung von Bürgern am politischen Geschehen definieren und Vorschläge zur „Etablierung einer gesamtstädtischen Beteiligungskultur“ umfassen.

          Mit ihrer Initiative reagiert die grün-schwarze Koalition auf die seit 2011 gemachten Erfahrungen mit verschiedenen Beteiligungsformen. In Darmstadt fanden in den vergangenen zwei Jahren ungewöhnlich viele Bürgerversammlungen statt. So wurde etwa ein Bürgerhaushalt eingeführt, zu dem jeder Darmstädter Vorschläge unterbreiten kann. Die Stadt organisierte zudem mehrere Bürgerbefragungen zu aktuellen politischen Streitthemen, etwa der Ansiedlung eines Lebensmittelmarktes in Eberstadt, und richtete drei Beiräte sowie Kommissionen mit Beteiligung von Bürgern ein.

          Zwiespältige Erfahrungen

          Zum umstrittenen Bau eines neuen Rathauses ist für dieses Jahr sogar ein Referendum geplant, das für Hessen ein Novum darstellt, da die Hessische Gemeindeordnung eine Bürgerbefragung im Vorfeld der eigentlichen politischen Entscheidung nicht kennt.

          Obwohl fast alle Fraktionen diesen Weg weitergehen und ausbauen möchten – gegen die Leitlinien stimmte nur die Wählergemeinschaft Uwiga, die FDP enthielt sich –, hat die Debatte gezeigt, dass die bisher gemachten Erfahrungen mit den angebotenen Beteiligungsformen zwiespältig sind. So sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Yücel Akdeniz, nicht alle Bevölkerungsgruppen seien erreicht worden. Bei den Bürgerversammlungen habe sich eine Gruppe von Aktiven stark eingebracht und viele andere Bürger dagegen überhaupt nicht.

          Augenmerk auf Inklusion

          Auch Oberbürgermeister Jochen Partsch (Die Grünen) sagte, die neuen Leitlinien sollten der Gefahr vorbeugen, durch mehr Partizipation am Ende mehr soziale Ungleichheit zu schaffen: „Bei der Bürgerbeteiligung dürfen nicht nur immer die dabei sein, die sich von selbst zu Wort melden.“ Diese „Janusköpfigkeit“ von Beteiligungsverfahren sehe auch er. Dennoch sei es notwendig, einen Weg zu finden, wie die Defizite der repräsentativen Demokratie aufgefangen werden könnten. Die Politik dürfe sich nicht mit einer immer geringer werdenden Wahlbeteiligung zufriedengeben. „Es verspricht niemand das Blaue vom Himmel. Wir wissen noch nicht, wie es geht, aber mit der Erarbeitung der Leitlinien machen wir uns weiter auf den Weg“, sagte der Oberbürgermeister.

          Wie sich aus der Magistratsvorlage ergibt, wird der Arbeitskreis Bürgerbeteiligung, der aus 26 Mitgliedern besteht und seine Arbeit Anfang April aufnimmt, ein besonderes Augenmerk auf den Aspekt der Inklusion richten, also auf die Einbindung von Menschen, die in der kommunalpolitischen Diskussion oft nicht oder wenig präsent sind, wie etwa Behinderte, Ausländer und schlecht qualifizierte Personen. Das soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass stärker mit der Gemeinwesenarbeit kooperiert wird. Unter diesem Begriff laufen in vielen Kommunen Programme zur „Sozialen Stadt“, die darauf abzielen, soziale Brennpunkte zu entschärfen – etwa durch den verstärkten Einsatz von Sozialarbeitern und den Ausbau sozialer Einrichtungen.

          „Was bleibt noch beim Parlament?“

          Während Akdeniz davon sprach, die Leitlinien seien als Versuch zu verstehen, ein „ständig lernendes System“ zu etablieren, bezeichneten es die Sprecher der FDP, Uffbasse und der Piraten als die eigentliche Kernfrage, welche Entscheidungskompetenzen den Bürgern am Ende zugebilligt werden sollen. „Was entscheidet künftig der Bürger, was bleibt noch beim Parlament?“, fragte etwa der Darmstädter Stadtverordnete Georg Hang (Uffbasse).

          Wie komplex diese Diskussion ausfallen kann, hatte sich schon zu Beginn der Stadtverordnetensitzung gezeigt, als über den Antrag der SPD zu einer Elternbefragung diskutiert wurde. Während es die Sozialdemokraten für angemessen hielten, alle Eltern von Grundschulkindern in den Jahrgangsstufen3 ähnlich wie in Wiesbaden zu befragen, ob sie für ihre Kinder G8 oder G9 wünschen, lehnten Grüne und CDU eine solche Umfrage mit dem Argument ab, dadurch werde der Schulfrieden gestört.

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