Mainz : Stresstest für die Sicherheit des kleinen Atomreaktors
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Leuchterscheinung: Brennstäbe im Kern des Mainzer Versuchsreaktors. Das blaue Licht entsteht durch schnelle Elektronen im Wasser (Tscherenkow-Strahlung). Bild: Röth, Frank
Seit 45 Jahren im Dienst der Wissenschaft: „Triga Mark II“ hilft Mainzer Forschern und Studierenden, die Welt besser zu verstehen.
Der Fritz-Straßmann-Weg ist kaum 200 Meter lang. Dort gibt es außer Fahrradständern und Parkplätzen nur ein größeres Gebäude. Wohl auch deshalb dürfte der erste Direktor des Instituts für Anorganische Chemie und Kernchemie, der dem Weg seinen Namen gab, selbst auf dem Mainzer Campus heute nur den wenigsten bekannt sein. Was gleichermaßen für den von Straßmann vor gut 50 Jahren auf das Gelände der Johannes Gutenberg-Universität geholten „Triga Mainz“ gilt. So heißt jener Kernforschungsreaktor, in dem 1967 Nobelpreisträger Otto Hahn auf den Startknopf drücken und somit den ersten Puls auslösen durfte. Ein unscheinbarer grauer Kasten, der sich ziemlich genau in der Mitte zwischen Mensa, Muschel und Universitätsbibliothek befindet. Weltweit sind noch etwa 30 Anlagen des Typs „Triga“ - was für „Training, Research, Isotopes, General Atomic“ steht - im Einsatz; zwei davon in Deutschland. In München und Mainz müssen sich die Verantwortlichen seit der Atomkatastrophe in Japan aber immer öfter fragen lassen, ob die für Forschung und Ausbildung gedachten Einrichtungen tatsächlich sicher sind.
Dies nicht nur von Bürgern oder Journalisten, sondern auch von der Reaktorsicherheitskommission, die im Auftrag der Bundesregierung jene „Stresstests“ vornimmt, bei denen verlangt wird, Angaben zu den Folgen eines Flugzeugabsturzes zu machen. Ein Szenario, das in Mainz nicht völlig abwegig erscheint. Noch haben Betriebsleiterin Gabriele Hampel und der Akademische Direktor Klaus Eberhardt nicht alle dazu notwendigen Aufgaben erledigt. In den nächsten Wochen sollen auch mit Hilfe externer Gutachter weitere Nachweise an das rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerium geschickt werden, das die Unterlagen dem Bundesumweltamt übergibt.
100 Kilowatt Leistung
Konstruktionsbedingt stelle „der inhärent sichere Reaktor“, der als Übungsfeld für Studenten gedacht sei, keine Gefahr für die Umgebung dar, versichern beide. Sollte die Temperatur im Innern zu sehr steigen, schalte sich der über 75 Brennstäbe verfügende Reaktor von selbst ab, eine unkontrollierbare Kettenreaktion sei ausgeschlossen. Eine Extra-Kühlung sei bei der kleinen und leistungsschwachen Anlage, die noch jahrzehntelang betrieben werden könne, unnötig.
Bis zur Atomkatastrophe in Japan konnten die etwa 40 festen Mitarbeiter und die Studenten mehr als vier Jahrzehnte lang nahezu ungestört mit „Triga“ arbeiten, der im Dauerbetrieb mit einer maximalen thermischen Leistung von 100 Kilowatt gefahren wird. Bis heute wurden fast 18.000 Reaktorpulse ausgelöst, um durch die Spaltung des Uran-235-Kerns Neutronen für chemische und physikalische Grundlagenexperimente zu erzeugen. Dabei geht es etwa darum, Materialien - ob frisches Saatgut oder jahrtausendealte Kalkreste - zu analysieren; aber auch um medizinische Projekte, wie die optimale Bestrahlung von Tumorzellen oder die Frage, aus welchen Elementen das Universum besteht.
Wie das alles funktioniert und welche Erkenntnisse gewonnen werden, wollen im Jahr bis zu 1000 Besucher des Instituts erklärt bekommen. Und eben auch, ob das Ganze sicher ist. So haben sich die Mainzer Grünen und Teilnehmer der gegen Atomprojekte protestierenden Montagsspaziergänge für Führungen angemeldet. Niemand müsse sich sorgen, dass radioaktive Stoffe entweichen könnten und es zu einer Gefährdung komme, sagt Hampel, die für ihren „Triga Mark II“ unzählige Szenarien vom Erdbeben bis zum Stromausfall durchgespielt hat. Ihrer Ansicht nach hätte die Universität ohnehin mit anderen Herausforderungen zu kämpfen, wenn ein vollbesetztes Flugzeug auf den Campus stürzte. Ein zerstörter Forschungsreaktor, so meint sie, fiele bei dem Inferno vermutlich nicht mehr groß ins Gewicht.