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„Lockpicking“ als Hobby : Sesam, öffne dich

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Übungsmaterial: Die Frankfurter Lockpicker benötigen zum Öffnen von Schlössern keinen Schlüssel. Bild: Felix Seuffert

Bei den „Sportsfreunden der Sperrtechnik“ bleibt kein Schloss ungeöffnet. Irgendwann springt jedes auf.

          3 Min.

          Douglas zieht ein großes, ausgebautes Schloss aus der Tasche und legt es vor sich auf den Tisch. „Habe ich dir mitgebracht“, sagt er zu Heiko. „Bohrmulde, da freue ich mich“, antwortet Heiko und bietet Douglas ein ähnliches Schloss zum Tausch an. Bohrmuldenschlösser gelten als besonders sicher, sie werden unter anderem in Tresore eingebaut. Heiko und Douglas lieben Schlösser. Sie versuchen, sie mit speziellem Werkzeug zu öffnen.

          „Lockpicking“ nennt sich ihr Hobby. „Schlösser knacken“ würde man dazu in der Umgangssprache sagen. „Knacken ist aber falsch“, meint Douglas. „Knacken bedeutet, dass ich das Schloss kaputt mache. Das tue ich aber nicht. Wir reden von Picking.“ Ihre Nachnamen wollen sie nicht nennen. Sie fürchten dann zu viele Anfragen. Heiko erinnert sich: „Einmal haben uns Jurastudenten gefragt, ob wir nicht die Tür ihres Professors öffnen könnten, damit sie an die Prüfungen kommen.“ Ein anderes Mal wollte ein älterer Herr in die Garage seines Nachbarn schauen, weil er illegale Geschäfte vermutete.

          Klare Regeln gegen Missbrauch

          Einmal im Monat treffen sich die rund 15 Frankfurter „Sportsfreunde der Sperrtechnik“ in einer Kneipe in Nied. Der Verein hat in ganz Deutschland rund 1500 Mitglieder, in vielen Städten gibt es lokale „Sportgruppen“. Douglas ist heute nur Gast. Er kommt eigentlich aus Neckarsulm und gehört einer anderen Sportgruppe an. Der gebürtige Brite hat die Haare kurz rasiert. Seine Hände sind gepflegt, er trägt einen dunkelblauen Anzug. Passend zu seinem Hobby ist er im Sicherheitsgewerbe tätig. Wenn er ein Haus sichere, könne kein Schlüsseldienst mehr helfen, sagt Douglas.

          Damit das Wissen der Sportgruppe nicht missbraucht wird, gibt es klare Regeln: „Niemand darf bei uns ein Schloss öffnen, das ihm nicht gehört“, sagt Heiko, Vorsitzender der Sportgruppe. Gäste, bei denen nicht nur der sportliche Ehrgeiz zählt, haben keine Chance. „Einmal wollte einer nur wissen, welches Werkzeug das beste für einen Mercedes SLK sei. Den haben wir sofort weggeschickt“, sagt Heiko. Für private Zwecke nützen sie ihr Können nicht. „Auf meiner Arbeit steht ein Essensautomat. Ab und zu bleibt da etwas stecken, das man gekauft hat. Trotzdem würde ich den niemals öffnen“, meint Douglas.

          Werkzeug, dass an den Zahnarzt erinnert

          Ärger mit der Polizei hatte die Sportgruppe bisher nicht. „Das kriminelle Potential des Sports wird allgemein überschätzt“, meint ein anderer Lockpicker, der sich als Marcus vorstellt. „Einbrecher haben nicht die Zeit für so etwas. Die brechen eine Tür lieber auf.“ Für Lockpicking brauche es aber Geduld und Konzentration. Wie beim Bauen eines Buddelschiffs, meint er. Hinzu komme, dass durch das Öffnen ein Schloss zwar nicht beschädigt werde, es aber trotzdem nachweisbar sei. „Die Forensik kann leicht feststellen, ob ein Schloss gepickt wurde“, sagt Heiko. Dazu haben die Lockpicker selbst beigetragen. Allerdings nicht durch begangene Straftaten: Die Sportgruppen arbeiten teilweise aktiv mit der Polizei zusammen.

          Auf dem Tisch hat Marcus inzwischen sein Werkzeug ausgebreitet. Dem Aussehen nach könnte es auch einem Zahnarzt gehören. Die langen, dünnen Drähte sind an den Enden jeweils unterschiedlich gebogen. Sie hören auf eigenwillige Namen: „Hook, Snake, Half-Diamond und Pick, mehr braucht man am Anfang nicht“, sagt Marcus Mit dem Pick oder Spanner wird das Schloss aufgespannt. Mit den anderen Werkzeugen werden die Stifte im Schloss so lange bewegt, bis man es mit dem Spanner aufdrehen kann.

          „Kein Schloss ist perfekt“

          Ein geübter Picker wie Douglas benötigt für das Öffnen eines Schlosses meistens nur wenige Minuten. Im Internet finden sich zahlreiche Videos, die belegen, dass er selten länger braucht. Speedpicking nennt Douglas das und schwärmt: „Es hat immer ein bisschen was von James Bond, wenn das Schloss aufgeht.“ Mit einem sogenannten Schlagschlüssel benötigt er sogar nur eine Sekunde. Wenn der Spezialschlüssel steckt, reicht ein gezielter Schlag auf das Schloss aus, um es zu öffnen.

          Wie kommt es, dass sich die vermeintlich so sicheren Schlösser scheinbar mühelos öffnen lassen? „Kein Schloss ist perfekt“, sagt Douglas. „Wir nutzen die Ungenauigkeiten aus, die bei ihrer Fertigung entstehen. Das ist alles.“ Bei einfachen Schlössern gelänge das auch Laien. Heiko stellt ein Vorhängeschloss der Firma Victory auf den Tisch. Die Picker müssen wegen des Namens grinsen. Im Schloss befindet sich nur ein einziger Stift. Nach einigen Handgriffen mit Pick und Snake springt es auf.

          Robuste Türen genau so wichtig

          „Solch ein Schloss ist einfach Mist. Das bekommt man sogar mit einem Zahnstocher auf“, meint Douglas. Er unterscheidet die Sicherheit von Schlössern in drei Stufen: Für die der ersten Stufe seien keine Vorkenntnisse erforderlich. Bei Stufe zwei könne auch ein erfahrener Picker Schwierigkeiten haben. Schlösser der dritten Stufe sind für ihn „Meisterwerke“. Ein Anfänger benötigt Wochen oder Monate, um sie zu öffnen. Douglas schafft es in drei bis sechs Minuten. Mindestens eine Stunde übt er am Tag. 20 Schlösser der zweiten Stufe zum Aufwärmen, dann kommt Stufe drei an die Reihe. Sein Werkzeug trägt er immer bei sich.

          Auch ein Hersteller hat sich schon einmal an die Sportgruppe in Frankfurt gewendet. „Uns wurde dann ein Schloss geschickt, das wir sofort öffnen konnten. Das kam dann nicht auf den Markt“, sagt Heiko. Deutlich macht er aber auch, dass kein Schloss Sicherheit garantiere. „Mit einem Schloss alleine erkaufe ich mir keine Sicherheit. Was hilft ein noch so gutes Schloss, wenn die Tür drum herum aus Pappmaché besteht?“ Heiko empfiehlt eine Sicherheitsanalyse der Polizei oder einer Sicherheitsfirma. Für ein sicheres Haus seien robuste Fenster und Türen genau so wichtig wie ein Schloss.

          An diese Empfehlung halten sich nicht alle Lockpicker. Selbst Sicherheitsexperte Douglas verzichtet auf große Sicherheitsvorkehrungen an seinem Haus: „Mein Türschloss könnte auch ein Anfänger öffnen.“

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