Tag der Deutschen Einheit : „Fangen wir an, uns gegenseitig zuzuhören“
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Tiefe Gräben zwischen Ost und West: Markus Meckel spricht über die Versäumnisse der Wiedervereinigung. Bild: dpa
Zum Tag der Deutschen Einheit hält in Frankfurt der letzte Außenminister der DDR eine Rede. Auch nach fast drei Jahrzehnten der Wiedervereinigung sei das Land noch immer tief geteilt.
Halb gefüllte Sitzreihen und eine halbherzig angestimmte Nationalhymne – die Paulskirche hat sicher schon emotionalere Veranstaltungen erlebt. Dabei sei die Frankfurter Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit ein „Fest der Freude“, sagte Bürgermeister Uwe Becker (CDU).
„Das Streben der Menschen nach Freiheit, Demokratie und Einheit war höher und stärker als jede Mauer“, hob er zu Beginn des Festakts hervor. Dies seien Werte, die es gerade in diesen Zeiten zu verteidigen gelte. „Wir haben als Volk ein nationales, aber kein nationalistisches Interesse.“ Mit Blick auf das Erstarken der Rechtspopulisten fügte der Bürgermeister hinzu: „Da sind Menschen, die von einer tausendjährigen Erfolgsgeschichte Deutschlands schwafeln. Tatsächlich leben viele Deutsche erst seit 28 Jahren in Freiheit.“ Damit das auch so bleibe, „müssen wir gegen jene aufstehen, die neue Mauern aufbauen“. Aus gesellschaftlichen Gräben dürften keine Schützengräben werden.
Geteilte Geschichtsschreibung
Hauptredner des Festakts war Markus Meckel. Als letzter DDR-Außenminister hatte er 1990 über die deutsche Einheit mitverhandelt; später wurde er SPD-Bundestagsabgeordneter. Sein Fazit 28 Jahre nach der Wiedervereinigung: „Wir haben noch längst keine gemeinsame Geschichtserzählung gefunden.“
Laut Meckel gibt es in Deutschland weiterhin eine geteilte Geschichtsschreibung. Die DDR-Geschichte werde als „Anhang, Exkurs oder Sondergeschichte“ behandelt. Für viele Westdeutsche seien die Ostdeutschen die „Hinzugekommenen“. „Sicher, man hat sich über die Wiedervereinigung gefreut und war bereit, einiges zu tun. Aber alles hat seine Grenzen, und irgendwann ist ja auch mal gut.“ So werde die Geschichte der DDR oft als „Regionalgeschichte“ abgetan. Dabei seien die DDR-Bürger die ersten Deutschen gewesen, die Freiheit und Demokratie selbst erkämpft hätten – ohne Blutbad.
Versäumnis der Einheit
Meckel verwies in diesem Zusammenhang auf Parallelen zur Nationalversammlung in der Paulskirche 1848. Ein wichtiger Unterschied: „Im Gegensatz zur Nationalversammlung haben die Ostdeutschen das Recht übernommen und nicht selbst gestaltet.“ Dies sei ein Versäumnis der verhandelten Einheit. „Vielleicht ist deshalb das Grundvertrauen auf das Recht im Osten so mangelhaft entwickelt.“
Entgegen dem gängigen Bild sei die Einheit nicht nur westlichen Politikern wie Helmut Kohl zu verdanken, sondern sei die „ureigenste Aufgabe“ der Ostdeutschen gewesen. Nach der gewaltfreien Revolution sei die friedliche Einigung am runden Tisch zwischen der Staatspartei und oppositionellen Gruppen erreicht worden. Anschließend sei die frei gewählte Volkskammer in die Verhandlungen mit der BRD eingetreten. „Es war der aufrechte, selbstbewusste Gang in die deutsche Einheit.“ Für diesen Satz gab es von den Zuhörern kräftigen Applaus.
Wie Becker ging auch Meckel auf die aktuellen politischen Entwicklungen ein. „Fangen wir an, uns gegenseitig zuzuhören“, so der ehemalige Politiker. „Das gilt auch für die Menschen, die in den letzten Wochen in Chemnitz oder Dresden auf die Straße gegangen sind.“